Samstag, 19. September 2020

MICHAEL BALLHAUS: "Gangs of New York"

KINOGESPRÄCH: MICHAEL BALLHAUS

November 2002 in der Freien Akademie der Künste in Hamburg


Michael Ballhaus 1997 in der Universität Hamburg (Foto: Dennis Albrecht)

An diesem Herbstabend kam ich mit einem befreundeten Kameramann zu der Veranstaltung, die keine Kino-Diskussion werden sollte, sondern eher eine Buchvorstellung. Es ging um eine Biographie eines Mannes, den ich schon 1997 kurz in der Hamburger Universität kennenlernen durfte. Eine Studentin brachte mich zu den Abschlussfilmen im Auditorium. Dort entstanden auch die Fotos.

Michael Balhaus und Hark Bohm saßen in der Akademie der Künste Hamburg an einem Tisch. Darauf lag das neu publizierte Buch "Das fliegende Auge" in dem Tom Tykwer den weltberühmten Kameramann interviewt. 
Der Saal war voll und Ballhaus begann zu erzählen, dass sein aktueller Film Gangs of New York inzwischen seit zwei Jahren im Schnitt war. Aber jetzt war eine Endfassung mit einer Länge von 2 Stunden und 30 Minuten fertig geworden. Die Ursache für diesen lange Prozess sah er in den zwei starken Persönlichkeiten, die diesen großen Film zu verantworten hatte, den Regisseur Martin Scorceseund den Produzent Harvey Weinstein.
Martin wollte ein großes Epos machen und jede gedrehte Szene auch verwenden, erzählte Ballhaus, doch Harvey Weinstein sah ein Problem darin, weil der Film inzwischen 100 Millionen Dollar verschlungen hatte. Bei einem Budget von 20 Millionen hätte er sich einfach ins Kino gesetzt und sich überraschen lassen wollen, soll Weinstein gesagt haben. Doch bei "Gangs of New York" war er sogar am Set, um zu überwachen, dass dieses investierte Geld auch irgendwie zurückkommt. Die erste Fassung hatte eine Länge von 3 Stunden und 15 Minuten und so kam es zu vielen Diskussionen, erzählte Ballhaus. Gedreht wurde in der Filmstadt Cinecitta in Rom, Italien. Der Bühnenbildner Dante Ferreti kam von dort und so wurde entschieden, auch dort den größten Teil zu drehen. Ballhaus schwärmte davon, wie gut er sich dort visuell austoben konnte. Es war alles möglich für diese Geschichte im New York des Jahres 1848.  Mit Hafen, großem Markt- und Versammlungsplatz, mehreren Straßenzügen war es wirklich eine Stadt in der Stadt. Die Schiffe im Hafen waren beweglich, die Kamera konnte in alle Richtungen filmen. Es gab keine Lücken. Und das war natürlich sehr schön für dieses einstmals berühmte Studiogelände, wo nur noch einige wenige Fernsehserien gedreht wurden.
Ein Zuschauer fragt, wann die lange Version veröffentlicht erwartet werden könnte. Ballhaus antwortet, dass er diese Version gar nicht sehen möchte. Er würde in der kürzeren Fassung nichts vermissen. Es war alles so groß, alles so perfekt, dass er schon fast traurig wäre, weil er nicht wüsste, was danach noch kommen könnte. Es wäre ja vom Aufwand her nicht mehr zu überbieten. Er fragt sich, was da noch kommen soll. Er wird aber trotzdem noch Filme drehen, auch mit Martin Scorcese. Denn tatsächlich tat ihm jeder Film weh, den er nicht mit "Marty" zusammen drehen konnte. Bei "Casino" war der Termin immer wieder verschoben worden und so hatte Ballhaus erst einmal andere Projekte gemacht. Er war auch ganz froh, denn er wollte nicht unbedingt 4 Monate in Las Vegas herumhocken. Dann hielt Ballhaus inne und überlegte. Er ergänzte, dass er es vielleicht doch gemacht hätte. Mit Marty würde es nie langweilig werden.
Bei "Kundun" war es so, dass er gesundheitlich angeschlagen war und sein Arzt gesagt hat, dass er dort in Indien, wo der Film gedreht werden sollte, für die nächsten 150 Kilometer kein Krankenhaus finden würde. Und dass er dann wohl sterben würde. Das wollte er dann auch nicht und somit ist er zu Hause geblieben. 
Zu dem dritten Film "Bringing Out The Dead" will er nicht so viel sagen, denn das war für Scorcese wohl eine Ausnahme und fast gar nicht eingeplant in seiner Filmographie. Er konnte sich mit dem Film nicht wirklich identifizieren. Seine Kollegen hätten da gute Arbeit geleistet, deshalb sieht er diese Werke immer mit gemischten Gefühlen aus. Er fand es immer noch seltsam, diese Filme nicht gemacht zu haben. Auf die Frage zum Stress am Set antwortete Ballhaus, dass er eine sehr liebe Frau zu Hause hätte, die Probleme kann sie immer gut auffangen und vergessen machen. Dann erzählte er von Wolfgang Petersen, mit dem er z.B. "Outbreak" drehte. Petersen war ein sehr guter Freund und Student von Ballhaus in Berlin. Er konnte immer gut mit Schauspielern umgehen. 




Zum Beispiel hatte er Dustin Hoffman gezähmt. Dustin wäre bekannt dafür, dass er schwierig werden kann, doch Petersen hat ihn behandelt wie jeden anderen und dass hat ihn integriert. Wolfgang ist auch niemand,  der einfach jemand vom Set schmeißt oder feuert, wenn er einen Fehler gemacht hat, so erzählte Ballhaus.
Insgesamt wären nur 12-15 Szenen mit CGI ausgestattet worden. Das war gegenüber anderen Filmen schon wenig. Alles andere war echte Kulisse. Denn CGI ist keine Kostenersparnis, erklärt Ballhaus. Dann lieber mehr Komparsen einkaufen. Hark Bohm fragte dann in den Raum, ob denn alle mit dem Begriff CGI etwas anfangen könnten. Als er eine leichte Verunsicherung im Publikum verspürte, erklärte er das Fachwort. 

Es ist ein Computerprogramm, das zum Beispiel das alte New York in dem Film von Martin Scorcese wieder zum Leben erwecken kann, sowie auch der Circus Maximus in „Gladiator“, erklärt Hark Bohm. Dabei gibt Michael Ballhaus hinzu, dass er bei diesen CGI-Szenen als Kameramann ebenfalls involviert ist, obwohl sie erst in der Nachbearbeitung werden. Die Vorbereitung ist jedoch wichtig und der CGI-Operator ist widerum mit am Set.

Zum Ende stellt Hark Bohm noch einmal das Buch von Michael Ballhaus vor. Den Titel würde Michael nicht unbedingt mögen, aber das Werk liegt ihm trotzdem am Herzen. Ballhaus hatte damals die Anfrage eines Verlages, die gerne eine Biographie über ihn herausbringen wollte. Seine Bedingung dafür war es, dass die Biographie anders sein sollte, zum Beispiel wie in einer langen Interview-Situation. So kam Tom Tykwer mit ins Spiel, der vom Fach kam. Dadurch würde er andere Fragen stellen als ein Journalist. Tykwer hatte früher sein eigenes Programmkino und kommt auch so von der Rolle des Zuschauers mit in das Projekt. Ballhaus lobte die Fragestellungen, die genau in die richtige Richtung gingen. Bis zu 50 Stunden Material hätte sich so angesammelt. Dies ist dann in gekürzter Form jetzt alles nachzulesen.

Auch mit Jimmy Hendrix hatte er mal gearbeitet. Michael Ballhaus  war damals in Berlin, dozierte dort und bekam eines Tages einen Anruf aus Frankfurt, von einem Bekannten, der eine Konzert-Agentur betrieb. Dieser erzählte, dass sie Jimmy Hendrix gerne mit einem Kamerateam begleiten würden, über vier Tage während seiner Deutschlandtour. Es wurde somit angefragt, ob er nicht Lust hätte selber zu übernehmen. Natürlich hatte er Lust, antworte Ballhaus damals. Es war 1969 und es ging um Jimmy Hendrix! Für ihn war das eine großartige Gelegenheit. Er fragte sofort, wann es denn losgehen würde und der Anrufer sagte, dass heute Abend das erste Konzert in Saarbrücken wäre. Das Telefonat war um 10 Uhr. Um 14 Uhr sollte das Flugzeug abheben. In dieser Zeit besorgte Michael Ballhaus eine Crew. Zum Glück hatte er seine Studenten und eigenes Material. Noch am selben Abend traf er Jimmy Hendrix und erfuhr, dass es bereits vorher schon ein Kamerateam gab. Das hatte Jimmy aber rausgeschmissen, weil ihm "eine Nase" nicht gefiel. Doch bei dem neuen Team war es zum Glück anders. Ballhaus liebte ihn und hatte das Gefühl, dass auch Jimmy eine gewisse Sympathie für ihn hatte. So begleitete er ihn die nächsten Tage wirklich überall hin. Als er nach Berlin zurückkehrte, kam es ihm vor, als ob er mit diesem besonderen Menschen wie Jimmy Hendrix 4 Wochen verbracht hätte, anstatt 4 Tage. Die Produktionsfirma ging leider danach sofort Pleite und es gab einen sehr langen Streit um die Rechte des Materials. Erst vor ein paar Wochen, vor der Veranstaltung im Kunstverein Hamburg hatte er den Anruf bekommen, dass das Material jetzt wieder frei sei. Es könnte jetzt ausgewertet werden. Michael Ballhaus war sehr gespannt, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte er keinen einzigen Meter davon gesehen.

Ein Teilnehmer wollte wissen, ob es eine besonders schwierige Szene bei den Dreharbeiten gab. Daraufhin erzählt Michael Ballhaus von der Kamera, die an einem Seil in sehr großer Höhe fuhr. Martin wollte von einem Close-Up so hoch wie möglich in eine Totale gehen, um dann ganz New York und die Umgebung zu zeigen. Das wurde natürlich mit CGI hinein kopiert, doch die Kamera musste so hoch wie möglich hinausfahren.  Es gibt nur einen Kran in Europa, der dies schaffen konnte. Doch den „Agila“ gab es nur einmal in Europa und die Produktion wusste nicht, wie lange sie brauchen würden, denn dieser Kran ist sehr wetterabhängig. Bevor die ganze und teure Crew mit dem teuren Kran da rumstehen würde, überlegte sich das Team Alternativen. Der "Key Gripper" machte dann einen Vorschlag. Er spannte ein Seil zwischen zwei Baukränen, balancierte dann eine Art Seilbahn darauf und das ganze für 10.000 Dollar. Der Kran hätte 150.000 Dollar gekostet.


Michael Ballhaus und Hark Bohm (hinten links) 1997 in der Universität Hamburg
(Foto: Dennis Albrecht mit freundlicher Genehmigung von Hark Bohm)


1 Kommentar:

  1. 1997 I had the honor of giving Herr Ballhaus an equipment tour of all the latest light gear at CineLicht in Hamburg. He came with around 20 students to examine the new lamps from ARRI and the bosses at CineLicht chose me to give the tour.

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