Samstag, 10. April 2021

THOMAS BAUERMEISTER "Tausend Kraniche musst du falten"

KINODISKUSSION MIT THOMAS BAUERMEISTER

im Kino “Nassau-Lichtspiele” in Haiger (April 1993)




Moderatorin: Ich freue mich ganz herzlich, Sie hier als Publikum begrüßen zu dürfen. Und bin froh, dass trotz des schönen Wetters einige interessierte Filmfreunde den Weg in unser Kino gefunden haben. Es war bestimmt nicht leicht, den Grill-Abend abzusagen, um solch einen Film mit solch einem schweren Thema sich anzusehen. Denn ich habe gemerkt, dass zwar dieses Thema uns alle angeht, doch nicht viele sich damit beschäftigen wollen.


Thomas Bauermeister: Ja, das habe ich auch schon gemerkt. Wer will heute, bei den vielen Schreckensmeldungen, die jeden Tag in den Nachrichten vorkommen, noch einen Film über Kinder von Tschernobyl sehen? Überall auf der Erde sind Menschen in Not. Die Menschen von Tschernobyl sind nur ein Teil davon.


Zuschauer: Gab es eigentlich große Schwierigkeiten, dort in der Ukraine zu drehen? Es war ja bekannt, dass die Behörden die Vorgänge in Tschernobyl vertuschen wollten. Wurden sie beim Drehen behindert oder gestört?


Bauermeister: Nein, überhaupt nicht. Und das hat mich auch überrascht. Die Behörden haben uns alles machen lassen, egal wo wir gedreht haben. Selbst Archivmaterial vom Unglück, von den Löscharbeiten und so weiter wurde uns zur Verfügung gestellt.


Zuschauer: Hatten sie nicht bedenken um ihre Gesundheit? Die Strahlung ist dort doch immer noch sehr hoch?


Thomas Bauermeister: Das ist wahr. Aber wenn man sich nur für einen bestimmten Zeitraum dort aufhält, kann eigentlich nichts schlimmes passieren. Wir mussten nur darauf achten, was wir zu uns nahmen. Wir wurden nämlich sehr oft auch zum Essen eingeladen und diese Menschen ernähren sich zum größten Teil von verstrahlter Nahrung, da sie sonst nichts anderes haben. Durch diese Bedenken, gerade wegen der Gesundheit, ist mir übrigens kurz vor Beginn der Dreharbeiten der Kameramann abgesprungen. Er hatte mir mit einigen nicht gerade nachvollziehbaren Erklärungen abgesagt, da gesundheitlich wirklich kaum etwas in der kurzen Aufenthaltszeit geschehen konnte. Doch er hatte einfach Angst, was irgendwo auch verständlich ist.


Zuschauer: Ich verstehe nicht, warum das Bau-Projekt einer neuen Siedlung, weit außerhalb des verstrahlten Gebietes nicht richtig von den Menschen dort angenommen wurde?


Thomas Bauermeister: Nun, zum einem besteht die Vorstellung von einem schönen Zuhause bei den Russen vornehmlich aus einer günstigen Mietwohnung in einem Hochhaus, ohne Landbesitz! Aber mit fließendem Wasser und einer Toilette im Flur. Zum anderen verlassen sie nicht sehr gern ihre Heimat und besonders die alten Leute haben nicht mehr die Kraft für solch eine Veränderung. Und die Kinder selbst verstehen noch gar nicht, warum sie weg gehen müssen. In der verstrahlten Zone, in den Städten, wird übrigens auch wieder gebaut. Arme Familien aus anderen Gebieten der Sowjetunion rücken nach, wenn irgendwo etwas frei wird. Vielleicht, weil es dort noch billiger zu leben ist riskieren sie ihre Gesundheit.


Zuschauer: Sie unterstützen mit diesem Film einige Projekte. Können sie darüber etwas erzählen?


Thomas Bauermeister: Ja, sie sind nach dieser Veranstaltung herzlich dazu eingeladen, eine Spende abzugeben. Damit soll eine Fabrik gebaut werden, die strahlenfreie Nahrung produzieren kann. Aber es bedarf noch an viel mehr Hilfe, die unter anderem von der “oppositionellen Bürgerbewegung” durchgeführt wird. Zum Beispiel die Projekte für Umsiedlungen, Kindererholung in Deutschland und vieles mehr. Deutschland ist sowieso eines der wenigen Ländern, die überhaupt helfen.

Nachtrag: Die Fabrik für Babynahrung wurde ein Jahr später vom Berliner Verein „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung e. V.“ aus den inzwischen gesammelten Spendenmitteln erworben und konnte endlich nach einigen Hindernissen im radioaktiv unbelasteten Norden von Belarus die Produktion für Babynahrung aus biologischen Anbau aufnehmen. Beliefert wurden die Säuglingsstationen der Krankenhäuser in der am höchsten belasteten Region um Gomel, der Bezirkshauptstdt im Süden. 
(Thomas Bauermeister, April 2021)


Zuschauer: Sie haben vorhin erzählt, dass die Kinder meist gar nicht wissen, was geschehen ist. Wie sieht es da mit den Erwachsenen aus? Wie viel wissen sie inzwischen? Wie viel hat ihnen die Regierung erzählt?


Thomas Bauermeister: Ja, die Bevölkerung weiß zwar nun Bescheid, was geschehen ist, doch mit den Konsequenzen werden sie absolut allein gelassen. Sie haben sich auf dieses neue “verseuchte” Leben eingestellt. Es ist ihnen egal, ob die Nahrung verstrahlt ist. Sie haben sich damit abgefunden.  Die eine Frau im Film verglich diese Situation mit dem gesamten politischen System in der UdSSR, in dem die Bevölkerung einfach abgestumpft worden ist. Jede Veränderung wird einfach hingenommen. Sie fühlen sich auch vergessen und betrogen vom Rest der Welt. Aber am deutlichsten wird dieser Zustand an einer Geschichte, die mir dort erzählt wurde. Ich weiß nicht ob sie stimmt, aber ich erzähle sie einfach mal. Es passierte ein paar Tage oder Wochen nach dem Tschernobyl-Unglück: Ein Regierungsbeamter hatte die Order bekommen, die Bevölkerung in einem bestimmten Gebiet zu informieren. Doch es war ja die Zeit, wo Fakten vertuscht werden mussten. Es durfte nicht das wahre Ausmaß bekannt werden. So berichtete der Regierungsbeamte, dass alles in Ordnung sei. Doch wie auch der alte Mann im Film berichtete, wurde woanders das verseuchte Vieh beschlagnahmt. Der Regierungsbeamte erzählte also seine Lügen und ist dann zum Hubschrauber geflüchtet. Noch am Fluggerät hatte er sofort seine Kleidung gewechselt und alles weggeworfen. Seine Schuhe sollen heute noch dort stehen...


Zuschauer: Warum heißt der Film “Tausend Kraniche musst du falten- Ein Film für die Kinder von Tschernobyl”?


Thomas Bauermeister: Dieser Titel geht zurück auf ein Märchen. Es geht darum, zu zeigen, wie lange diese Strahlung und damit dieses Elend dauern wird, wie lange diese Kinder ihre Schmerzen ertragen müssen. Eben so lange, bis tausend Papier-Kraniche gefaltet sind. Dies ist eine Parabel für eine sehr lange Zeit. Denn die Kinder leiden am meisten an den Folgen der Katastrophe. Sie wissen meist gar nicht, warum sie diese Kopfschmerzen haben. Sie dürfen nicht mehr hinausgehen und in den Feldern spielen. Man möchte ihnen am liebsten sagen: „Hört auf zu wachsen!“ Denn dadurch, dass sich ihre Zellen noch häufiger Teilen, sind sie anfälliger für die Krankheiten wie Tschernobyl-AIDS, Leukämie und Schilddrüsenkrebs.


Der Film TAUSEND KRANICHE MUßT DU FALTEN  wurde 1992 mit dem Hessischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet.


Donnerstag, 8. April 2021

RAINER MATSUTANI "Spides", LEXX-The Dark Zone und "Nur über meine Leiche"

PERSÖNLICHES INTERVIEW 
im März 2021


Rainer Matsutani mit Bernd Eichinger    Foto: RedSunFilms 

Hallo Rainer.
Ich würde dir gerne nun ein paar Fragen stellen, die aber auch einen sehr persönlichen Bezug haben.

Denn damals, als wir uns kennenlernten, war für mich eine ganz neue Situation. Ich wollte Film lernen. 1995 lief dein Film "Nur über meine Leiche" beim Fantasy Filmfest in Berlin und 2 Wochen später auch in meiner damaligen  Heimat im Gloria Kino in Dillenburg (Hessen). In Berlin war auch die Hauptdarstellerin des Films Katja Riemann dabei und gab später im Foyer Autogramme (siehe Fotos).
Ich war jedoch mit einer bestimmten Mission zu der Vorstellung gekommen.  Nach einer unglücklichen Lehre zum Maler&Lackierer und einem anstrengenden Jahr Bundeswehr wollte ich einen Traum verwirklichen. Kinos zu besuchen, in denen Filmemacher ihre Werke vorstellten waren für mich der beste Kontakt für meine ersten Drehbuchideen.

So gab ich damals Katja Riemann ein Drehbuch-Treatment mit, weil ich dachte, so funktioniert die Branche. Bei dir heftete ich mich auch ran und wir waren auf dem Ku´damm noch etwas Essen. Du warst mit deinem Team unterwegs und ich setzte mich einfach dazu.  Ich schäme mich heute für dieses Vorgehen. Kannst du dich noch daran erinnern?


Rainer Matsutani: Ich habe gute Erinnerungen an den Abend.


Kurz vor der Premiere von "Nur über meine Leiche"
vor dem Film-Palast auf dem Kurfürstendamm
Foto: Dennis Albrecht


Doch wie kommt man nach deiner Meinung wirklich in die Branche? Geht es über Filmstudium, Kurzfilm als Referenz und dann Glück haben die richtigen Leute zu treffen?


Rainer Matsutani: Seit vielen Jahren ist der beste Weg über eine Filmhochschule: Ludwigsburg, HFF München, HFF Potsdam, DFFB. Weniger erfolgversprechend sind die anderen Unis, da die Anbindung an Branche und fehlendes Renommee fehlt 


Hätte mein Vorgehen auch Erfolg haben können?


Rainer Matsutani: Ja. Thomas Jahn hat Til Schweiger in einer Buchhandlung angesprochen und dann „Knocking on Heaven’s Door" gemacht. Tom Tykwer kam ohne Hochschule zum Film und ist seit Jahren der bekannteste Regisseur Deutschlands.



Du hast vor vielen Jahren das Fantasy Genre bereichert mit Formaten für das Kino und TV. Unter anderem hast du auch für „LEXX-The Dark Zone“ eine Episode inszenieren können. So wild das Format auch war, hat es dich weiter gebracht? Und wie können wir die Zeiten miteinander vergleichen? Jetzt in SPIDES kannst du ganz andere Effekte anbieten, ganz anderes Storytelling verwenden, oder?


Rainer Matsutani: LEXX war damals lustig zu machen, aber ob es mich weiter gebracht hat? Ich weiß nicht. GENRE bringt einen in Deutschland generell nicht weit. Man landet eben in einer hierzulande unpopulären Nische, obwohl GENRE (SciFi, Fantasy, Horror) im Rest der Welt überaus populär ist. Schau dir einfach die Liste der 100 erfolgreichsten Filme weltweit an: 90% davon sind Genre-Filme.


Und du bist jetzt Showrunner. Ist das der große Vorteil, den man sich immer erhofft?


Rainer Matsutani: Ja, es war ein kreativer Neuanfang. Es war die totale künstlerische Kontrolle. Bei meinen Genre-Produktionen in Deutschland musste ich viele, sehr viele Kompromisse eingehen. Hauptsächlich, weil die beteiligten TV-Sender (auch bei den Kino-Co-Produktionen) einfach verdauliche Ware mit Altersfreigabe 12 brauchten. NUR ÜBER MEINE LEICHE war die Ausnahme, als Erstlingsregisseur hat man (meistens) einen Schuß frei.


SPIDES läuft nicht auf Netflix hat aber trotzdem eine gute Chance auf dem Streaming-Markt? 


Rainer Matsutani: Ja, SPIDES läuft derzeit auf Amazon Prime und in den USA auf Crackle. 



SPIDES Poster. Foto Red Sun Film
Ist jetzt somit die Chance größer, endlich deutsche Sci-Fi zu produzieren und besser zu verkaufen?


Rainer Matsutani: Ich denke ja. Die Streaming-Anbieter sind offen für Genres. Es ist ein neues Zeitalter angebrochen. Doch Jahrzehnte alte Vorbehalte gegenüber deutschem Genre muss abgebaut werden, das geht nicht gleich morgen. 


Wie siehst du die Chancen für Kinos in Zeiten der Pandemie? Glaubst du, sie kommen noch einmal wieder? Wenn ja, in welcher Form und mit welchem Auftrag könnte das sein?


Rainer Matsutani: Als jemand, der seine Initiation im Kino erlebte, ist der derzeitige langsame Tod des Kinos bitter. Ich weiß nicht, ob Kino (das schon zuvor heftigst litt) das überlebt.


Übrigens hat mir Katja Riemann tatsächlich auf mein Drehbuch eine Antwort geschrieben. Eine zwar salomonische aber trotzdem sehr ehrliche Einschätzung. Das mag ich an ihr. Hier ein kurzer Ausschnitt: ""Schreiben Sie einen Film, erzählen sie eine Geschichte für die Sie brennen. Versuchen Sie etwas mitzuteilen und spekulieren Sie nicht mit einem Trend, der sich aus anderer Notwendigkeit ergeben hat (Katja Riemann Pfingsten 1996)


Rainer Matsutani: Ja, Katja ist eine ehrliche Haut :)


Vielen Dank für das Gespräch.


Katja Riemann nach der Premiere im Foyer.
Foto: Dennis Albrecht


Lest auch das Kinogespräch zu der Premiere: 

KINOGESPRÄCH "Nur über meine Leiche"


MATTHIAS HUES "Karate Tiger 2", "Dark Angel" und "Legion Of The Dead"

PERSÖNLICHES INTERVIEW  mit MATTHIAS HUES  Foto von Dennis Albrecht am Set von „Legion Of The Dead“ Fragen von Christian Witte:  Du hast mit...