Montag, 28. September 2020

PHILLIP NOYCE: "Long Walk Home"

KINOGESPRÄCH MIT PHILLIP NOYCE    

am 07.05.2003 im Abaton-Kino in Hamburg


LONG WALK HOME  auf imdb
Foto: Arsenal Filmverleih


Verleih-Chef Arsenal Film: Vielen Dank an das Abaton-Kino, dass wir heute den australischen Film „Follow the Rabbit-Proof Fence“ vorführen können, der in Deutschland „Long Walk Home“ heißen wird.

Gelächter aus dem Publikum.

Verleih-Chef: Ja, sie glauben es wirklich nicht. Aber viele kreative Gehirne haben es nicht geschafft, einen deutschen Titel dafür zu finden. Es geht los von "Langer Weg nach Hause" bis über "Immer den Kaninchen-Schutz-Zaun entlang". Ich glaube, wir wären umgebracht worden, wenn wir das gemacht hätten!  Der Film wird jedenfalls mit 50 Kopien am 29. Mai im ganzen Bundesgebiet in ausgewählten Kinos starten, also auch hier im Abaton. Und jetzt übergebe ich das Wort an John Langtry, von der australischen Botschaft in Berlin.

Australien. Botschaftsgesandte, John Langtry: Ich möchte ihnen etwas über das Filmland Australien erzählen, denn Film hat bei uns eine lange Tradition. Bereits 1890 wurden die ersten Filme kurz gedreht und einer der ersten Langfilme wurde 1906 ebenfalls in Australien gedreht.  Außerdem kommen sehr bekannte Schauspieler von diesem Kontinent, mehr als sie denken. Da sind zum Beispiel Cate Blanchett, Mel Gibson, natürlich, Nicole Kidman, Naomi Watts von „Mullholland Drive“. Sie sind unsere Exportschlager. Erst letztens wurde die Fortsetzung von „Matrix“ in Sidney abgedreht und auch die Innenszenen des Pariser „Moulin Rouge“ wurden in einem Studio in Sidney gedreht.  Nicht zu vergessen ist deshalb Philip Noyce, der nach „Todesstille“ mit Nicole Kidman ebenfalls in Hollywood Fuß gefasst hat und Filme wie „Das Kartell“ oder „Stunde der Patrioten“ drehte. Nun verfilmt er ein Buch von Doris Pilkinton. Dabei geht es um eine unrühmliche Zeit in der australischen Geschichte: Die Verschleppung von Mischlingskindern aus den Aborogines Stämmen. Sie wurden den Müttern und Familien entrissen und in Erziehungslager gesteckt, wo sie zu Dienern ausgebildet wurden. Diese Kinder werden heute als "verlorene Generation" bezeichnet. Dieser Film wurde ja bereits in Berlin gezeigt und es kamen sehr interessante Fragen auf. Es entstand eine Debatte. Deshalb bin ich heute auf die Fragen sehr gespannt! 

Moderator: Wie sind sie auf diesen Stoff gekommen? Wie kam es zu diesem Film?

Phillip Noyce: Nun, es war in den USA um 3:15 Uhr morgens, als plötzlich mein Telefon klingelte. Ich drehe gerade einen Film mit Denzel Washington und Angie Jolie. Jedenfalls war eine Drehbuchautorin am Telefon, die irgendwie dummerweise meine Nummer hatte. Gut, in diesem Herbst war es eher Glück, denn Christine Olsen ist eine angesehene Dokumentarfilmerin, die ein Buch über die „gestohlene Generation“ schreiben wollte. Sie überzeugte mich, das Buch zu lesen und diese Geschichte liess mich nie wieder los.  So kam ich auch zurück nach Australien und nur zwei Wochen später drehten wir die erste Szene mit den zwei alten Frauen, also den "echten Frauen" Molly und Daisy in der Wüste.

Moderator: Die Kamera hat ja Christopher Doyle geführt, der aber eher aus dem asiatischen Bereich bekannt ist, mit Filmen wie "Chunking Express" oder jetzt "Hero".  Wie haben sie ihn kennengelernt?

Noyce: Ich habe Chris 1979 in Taiwan zum ersten Mal getroffen. Dort dreht er einen Film mit einem damals noch nicht so bekannten Schauspieler namens Mel Gibson. Seit dieser Zeit schrieben wir uns immer mal Postkarten. Doch einmal wollte ich ihn am Set treffen und er sagte nur zu mir: „Wenn du ans Set kommst, folge einfach nur den Wagen, dann kommst du auch zum Director of Photographie, also zu mir. Denn es ist ja so, dass am Set sehr viele Autos stehen, die immer größer werden, um so näher du kommst. Bei der größten Limousine würde ich ihn dann treffen“, so meinte er. Natürlich war das nur ein Scherz, denn als ich dort ankam, waren da keine großartigen Autos und er selbst stand da, hatte eine Kamera auf der Schulter und mit dem anderen Arm hielt er eine Lampe. Das war das ganze Team! Davor stand nur zwei Schauspieler.

Moderator: Außerdem haben sie noch Kenneth Brannagh als Schauspieler gehabt, der aber kein Australier ist und Peter Gabriel, der die wunderschöne Musik dazu geschrieben hat, aber auch jemand von der Insel ist. Wie ist es da zu dem Kontakt gekommen?

Noyce: Nun, bei PETER GABRIEL war es so, dass ich seit seinem Soundtrack zu "Die letzte Versuchung Christie" auf ihn aufmerksam geworden war. Und dann habe ich ihn getroffen und habe zu ihm gesagt, dass ich gleich zwei Projekte für ihn hätte. Das wäre eine Gage von einer halben Million Dollar und heißt "The Quiet American". Da fragen er mich, was mit dem Zweiten wäre. Das Zweite, nun ja, da würde es gar kein Geld geben, wegen des kleinen Budgets. Das war dann "Long Walk Home".  Er hat mich dann zwei Tage später angerufen und mir gesagt, dass er nur das zweite Projekt machen wollte. Denn er wollte Musik machen, "die aus der Erde käme", Weltmusik. Er hat ja in der Richtung schon einiges produziert. UUnd Kenneth ist dafür bekannt, dass er Drehbücher an einem einzigen Tag lesen und bewerten kann und dementsprechend kam auch schnell die Zusage.

Zuschauer: Was tun die Darsteller der drei Kinder heute?

P.Noyce: Sie tun das, was Kinder eben tun sollten. Die Kleine geht in die Schule, die Mittlere ebenso, nur mit der Großen gibt es da so eigene Probleme. Sie war noch nie in der Schule und geht deshalb auch immer noch nicht hin.

Zuschauer: Wie haben sie die Mädchen gefunden?

P.Noyce: Nun, wir haben gesucht. Wir sind viel herumgeflogen, herumgefahren und sind auch viel gelaufen! Aber wir hatten auch überall unsere Leute, die haben viel fotografiert. Wir wollten Kinder haben, die noch einen intakten Bezug zur Kultur und zur Natur haben. Dann haben wir sie gefunden! Auch im Südwesten von Australien.

Zuschauer: Wie war das Umschalten auf Hollywood zurück, after sie wieder in Australien gedreht haben?

Noyce: Nun, Hollywood ist tragisch. Ich war noch gar nicht wieder in Hollywood. Fragen sie mich noch mal, wenn ich wieder da war.

Zuschauer: Aber wie würden sie den Unterschied beschreiben, "Stunde der Patrioten"  war ja ein ganz anderer Film als "Long Walk Home".

Noyce: In Hollywood hängt alles vom Test-Screening ab. Jenes bestimmt, wie der Film werden muss, war manchmal sehr frustriert. Du stehst unter einem enormen Druck. Bei STUNDE DER PATRIOTEN hatte ich zum Beispiel mit Harrison Ford einige Meinungsverschiedenheiten. Schon als Schauspieler hat er eine sehr große Macht und eingesetzt durch, dass der Film zu Einem Test-Screening kommen sollte, um festzustellen, wer Recht hatte!  

Zuschauer: Was planen sie als nächstes?

P.Noyce: Ich werde einen Film über eine amerikanische Pastorale drehen, mit Philip Roth, Nicole Kidman und Anthony Hopkins. Es wird mit unabhängigem Geld gedreht, also ein Art Independent-Film.

Zuschauer: Ein Sprichwort aus der Branche, besagt, dass es am schlimmsten ist, mit Tieren oder mit Kindern zu drehen. Wie war ihre Erfahrung?

Noyce: Nein, das stimmt nicht, Hollywood-Stars sind die schlimmsten! Die Kinder waren großartig. Sie waren frei, können keine Tricks, waren einfach sie selbst, sie taten es einfach, was man ihnen sagte, schaut in die Kamera. Es war wunderschön.  Und die Große, die Molly gespielt hat, war ihr im Charakter sehr ähnlich, also sehr stark, selbstbewusst, klug.

Zuschauer: Was ist eigentlich aus Gracie geworden?

Noyce: Nun, sie ging irgendwann aus dem Lager, heiratete und starb ziemlich früh. Sie hatten starke Alkohol-Probleme.

Zuschauer: Wie ist heute die politische Situation, insbesondere in der  Aborigines-Frage?

Noice: Es hat sich verbessert. Es hat sich etwas verändert. Es sind schon gute Ansätze zu bemerken, trotz einiger Rückschläge. Schon allein von der Tatsache her, dass die "Weißen" einsehen mussten, dass die große und wichtige Masse an Touristen nicht kam, um sich Weiße anzusehen! Außerdem ist der Respekt gegenüber der Kultur gewachsen. Sie werden nicht mehr als dumm und rückständig angesehen. Sie verkörpern den Geist zu dem Land. In den Schulen wird dieses Thema diskutiert. Nicht so wie früher, wo eine andere Geschichtsschreibung galt. Ich komme aus dem Nordosten und die Geschichte spielte sich ja im Süd-Westen ab. Dort ist alles noch etwas härter, engstirniger. Es leben dort nicht sehr viele Menschen und schon gar nicht "im Land", sondern eher in den Städten. Der Westen wurde ja viel später besiedelt. Ich habe auch dieses Thema als junger Mensch nie großartig mitbekommen. Ich hab nur diese Menschen hinter diesem Zaun gesehen. Sie waren damals noch in einer Art "Konzentrationslager" zusammengepfercht worden. Und wenn man sich die Geschichte vor den dreißiger Jahren anguckt, dort wo unsere Story spielt, da gab es regelrecht Massaker an den Ur-Einwohnern. Das wird heute in den Schulen gelehrt. Sie haben gemerkt, dass schwarze Menschen auch Gefühle haben und irgendwann ist auch in den 70ern die Politik daran gescheitert, die „ihre Rasse“ schützen wollte. Außerdem ist das Buch, das diesem Film vorangehend ein absoluter Bestseller in Australien. Es tut sich auch etwas. Der Premier-Minister, John Howard, hat jedoch bis jetzt noch nichts zu dem Film gesagt. K ein Kommentar, aber ich hab da meine eigene Theorie, warum er bisher kein Statement abgegeben hat.

Zuschauer: An wen geht der Erlös des Filmes?

Noyce: Nun, natürlich an die Familien der Mädchen und an die Schauspieler, natürlich auch an mich und die Crew, an Peter Gabriel und viele andere.

Zuschauer: Gibt es aber nicht irgendwelche Spenden-Fonds, die damit zusammenhängen.

Noyce: Es gibt natürlich solche Fonds, aber wir arbeiten mit keinem direkt zusammen.  Es gibt aber eine Organisation, die sich direkt für die "verlorene Generation" einsetzt!

Zuschauer: Ich hatte erst vor kurzem das Vergnügen, quer durch Australien zu reisen.  Wo haben sie diese Orte gefunden? Wo haben sie gedreht? Ich dachte, ich wäre überall gewesen? 

Noyce: Da können wir uns gleich noch mal in Ruhe unterhalten. Aber soviel sei gesagt: Den Ort "Jigalong" gibt es wirklich. Dort haben wir aber nur kurz gedreht. Den Rest haben wir in Süd-Australien und in North-West Addelaide gedreht, wo auch noch ein altes Set von mir stand, das wir noch mal benutzt haben, nämlich der Bahnhof.

Zuschauerin: Wird dieser Film auch in Korea starten?

Noyce: Ja, ich glaube nächsten Monat wird er auch in Korea starten, wir haben überall in der Welt verkauft.

Moderator: Als sie damals bei TODESSTILLE mit NICOLE KIDMAN zusammenarbeiteten, hätten sie gedacht, dass sie irgendwann einen Oscar bekommen würde, wie es ja dieses Jahr geschehen ist.

Noyce: Nein! Das hätte ich nicht gedacht. TODESSTILLE war zwar ein Film, der bereits an Hollywood gerichtet war. Wir hatten ja auch einen amerikanischen Verleih, aber das hätte niemand erwartet, dass ich und Nicole in Hollywood arbeiten würden.


Übersetzung: Dennis Albrecht

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