Dienstag, 24. November 2020

MICHAEL VERHOEVEN: "Mutters Courage"

KINOGESPRÄCH: MICHAEL VERHOEVEN

im Programmkino "TRAUMSTERN" in Lich  (Frühjahr 1996)


MUTTER MUT  auf imdb
Foto: imdb


Michael Verhoeven sitzt auf der Bühne des kleinen hessischen Kinos und spricht gleich zum Publikum. Die Dreharbeiten stellten sich in Ungarn 1994 als sehr schwierig heraus. Es gab einen Umbruch in der Regierung und so musste ein größerer Teil nach Tschechien verlegt werden. Es war eine schwierige Entscheidung, doch sonst hätten die Dreharbeiten für ein Jahr unterbrochen werden müssen. Verhoeven fand es schade, denn in Ungarn waren bereits wunderschöne Drehorte vorbereitet gewesen. Die Wartehalle, in der die Juden in einer Szene zusammengetrieben wurden war in einem alten Lokomotiv-Werk geplant. Doch in Tschechien fand sie einen sehr guten Ausgleich. Dort fanden sie einen sehr still und friedlich gelegenen Bahnhof, der einen guten Spiegel zu der grauenhaften Tragödie wiedergab. Ein Zuschauer meldete sich zu Wort und fragte, ob Herr Verhoeven auch Einfluss auf das Casting hatte. Denn er hielt Eddie Arent in einer Nebenrolle als Geheimpolizist, der Frau Tabori mit verhaftet hatte, als fehlbesetzt. Michael Verhoeven verteidigte den Schauspieler, der sonst für leichte und komödiantische Auftritte bekannt war. Er fand die Bemerkung des Zuschauers nicht gerade schmeichelhaft und sah Arent in einer Klischee-Ecke gefangen.

Ein anderer Zuschauer wollte wissen, warum der Film in Cinemascope gedreht wurde. Verhoeven wollte einen Kinofilm machen und das Format "Cinemascope" bedeutete für ihn Kino. 

Danach erklärte er die Massenszenen, die am Bahnhof gedreht wurden. Viele Komparsen, die die Juden spielten, mussten zu den Wagons strömen. Ein Zuschauer hatte gefragt, ob sich die Menschen in diese Leute von damals hineinversetzen konnten? 
Verhoeven antworte, dass Komparsen meistens ganz normale Leute sind. Bis zu 2000 Statisten kamen aus der Nachbarschaft. Die Kunst, diese Menschen in der richtigen Richtung zu motivieren, besteht für Verhoeven darin, so wenig Informationen wie möglich weiter zu geben. Sein Team hatte die Leute dort an den Bahnsteig gestellt und ihnen gesagt, dass sie in diesen Zug müssten und den Personen mit den Schleifen am Arm folgen sollten. Das waren die einzigen Leute, die vom Filmteam kamen. Dann wurde der Zug hineingefahren und alle drängten zu den Wagons. Dabei bekamen die älteren und langsameren Leute natürlich nicht die besten Plätze. Das Drängen und Stoßen lief plötzlich ganz automatisch ab. Bei den Sitzen und Luftschlitzen standen dann die Leute, die sich mit Ellbogen Platz verschafft hatten. Zusätzlich kamen noch Drängler, die vom Film-Team eingesetzt wurden. Gerade deshalb waren die Ergebnisse und die Dynamik der Szenen Glückssache. Denn bei aller geschürter Dramatik und Stress grinst immer mal noch jemand in die Kameras. Das würde beim Drehen zunächst gar nicht auffallen, erklärte Verhoeven. Erst beim Sichten des Materials in der Nachproduktion sieht man diese Fehler. Die Aufnahme wird dann schnell wertlos und man müsste dann weiter nach gelungenen Szenen suchen. 


Zuschauer: Die Musik war für mich sehr bemerkenswert! Sie gab den Bildern noch mehr Kraft, ja sogar Schwere, besonders zum Ende hin!


Verhoeven: Das höre ich natürlich gern, da mein Sohn die Musik komponiert hat. Er wird sich freuen über dieses Kompliment.


Zuschauer: Ihr Sohn hat doch auch mitgespielt! Das war doch dieser junge, blonde Nazi-Soldat?


Verhoeven : Ja, genau!


Zuschauer: Wie weit war Tabori an dem Projekt beteiligt? Welchen Einfluss hatte er auf den Film?


Der bekannte Theaterregisseur Georg Tabori hat die literarische Vorlage zu dem Film geliefert. Er hat die Geschichte seiner Mutter aufgeschrieben, die stirbt wirklich so erlebt haben soll und stellt diese Geschichte auch persönlich als Rahmenerzähler im Film vor.


Verhoeven: Er hat uns auf jeden Fall sehr viel Spielraum gelassen. Er hat auch beim Drehbuch mitgewirkt. Bei den Dreharbeiten selbst hielt er sich dann ganz raus. Er ist ja auch nicht der "Filmmensch". Er kommt ja vom Theater und war offensichtlich von einer solchen verhältnismäßig großen Produktion beeindruckt. Aber die Zusammenarbeit hat gut geklappt.


Zuschauerin: Für mich waren auch ein paar versteckte Symbole sehr wichtig. Zum Beispiel hatte der SS-Offizier einen Totenkopf auf der Mütze, den Mann einmal groß sah. Und der Jude, der erschossen wurde hatte einen Pyjama an, der bereits an die KZ-Kleidung erinnerte. Sind diese Andeutungen einfach Zeugnisse unseres heutigen Wissens? Wir wissen ja, dass die Juden ins KZ gekommen sind!


Verhoeven: Find ich erst einmal toll, dass ihnen diese Sachen aufgefallen sind. Sie sind die erste Zuschauerin, die es bemerkte. Aber eigentlich sollte der Pyjama nur verdeutlichen, dass diese Menschen wirklich aus ihren alltäglichen Situationen herausgerissen worden waren, als sie verhaftet wurden.


Zuschauerin: Ja, das hat man auch an dem Metzger gesehen, der noch mit dem Fleischermesser und Kittel dort stand.


Verhoeven: Genau! Das ist richtig.


Zuschauer: Ich hatte bei ihrem Film das Problem, dass ihre Bilder vom Holocaust einfach zu glatt waren. Sie beschrieben hier einige Handlungen, die sehr brutal und menschenverachtend sind, aber sehr einfach und aalglatt erzählt werden.


Verhoeven: Also, das versteh ich jetzt nicht so, warum sie damit Probleme haben. Ich wollte einfach nicht alles aufzeigen, was der Holocaust an schrecklichen Bildern hervorgebracht hat. Die technischen Möglichkeiten waren zwar gegeben, wie zum Beispiel auch in "Schindlers Liste", wo sie sich gegenseitig die Pistolen an den Kopf halten und so weiter. Da kommt das Gehirn schon aus der Pistole heraus... Also, wenn man genug Geld hat, sind solche Bilder natürlich machbar, aber ich will jene Schreckensbilder nicht verwenden. Das hab ich nicht nötig.


Zuschauer: Ich fand den Charakter des SS-Offiziers sehr interessant. Er zeigt bei der Szene mit den Pflaumen eine sehr gespaltene Persönlichkeit, die am Rande des Wahnsinns steht. Das wird ja vielen SS-Anhängern nachgesagt wird, dass sie alle etwas geisteskrank waren.


Während der Fahrt zurück nach Budapest erzählt der SS-Offizier eine Geschichte von einem Pfarrer, der seine wenigen Kirchenbesucher zum Morden aufruft. Diese Geschichte geht immer weiter in eine sich steigernde Erzählform, die sich am Ende fast im Wahnsinn wieder findet. Dabei zerdrückt er Pflaumen.


Verhoeven: Ich kenne diese historische Geschichte nicht so, dass alle SS-Offiziere geisteskrank gewesen sein sollen. Doch es ist sehr interessant, dass sie dies erwähnen. Auf der Premiere in Berlin bekam ich etwas ähnliches vorgeworfen. Ein junger Mann fragte mich, wie ich dazu kommen würde, die SS-Leute so positiv darzustellen. Schon die Szene, dass dieser Mensch (der SS-Offizier) ganz distanziert Musik hört, während hunderte von Juden deportiert werden. Doch ich finde, dass ich die SS-Männer überhaupt nicht positiv gezeichnet habe. Er hält sich nur sehr auf Abstand, lässt niemanden an sich rankommen. Aber der junge Mann auf der Berlinale beharrte auf seinem Standpunkt und wurde sogar noch sehr aggressiv. Danach fand ich heraus, bei einem weiteren Gespräch mit ihm, dass dieser Mann aus einer Soldatenfamilie stammt und selbst Offizier ist. Interessant, oder?


Zuschauer: Ich kann aber die Reaktion und Verhaltensweisen der Juden irgendwie noch nicht nachvollziehen, eben allgemein gesehen. Wie kann es sein, dass die Menschen einfach nicht wussten, wohin die Reise ging? Warum wussten sie nicht, dass es dort um Leben oder Tod ging? Warum wusste es nur ein kleiner Junge in ihrem Film, begriff die Gefahr und versuchte zu fliehen. Wenn Budapest wirklich die letzte Enklave war und das im April 1944 stattfand, dann kann ich nicht nachvollziehen, warum keiner etwas wusste!?


Verhoeven: Dazu möchte ich eine andere Geschichte aus dieser Zeit erzählen. Und zwar gelang, ebenfalls 1944, zwei Männern die Flucht aus Auschwitz. Sie konnten sich bis zu den Alliierten durchschlagen. Dort erzählten sie dann, was in Auschwitz geschah und diese Nachricht ging über den ganzen westlichen Erdball. Doch schon Jahre zuvor war es ebenfalls zwei Männern gelungen zu fliehen und auch sie erzählten von den schrecklichen Ereignissen. Doch ihre Geschichte wurde totgeschwiegen. Ihnen wurde einfach nicht geglaubt, weil es einfach nicht vorstellbar war.


Zuschauer: Dazu möchte ich auch noch sagen, dass wir uns selbst jetzt einmal fragen sollten, wie viel wir wissen und was wir tun! Wissen wir etwa nicht von unseren Umweltproblemen und fahren wir nicht trotzdem alle ein Auto? Das Wissen ist doch da!


Verhoeven: Ja, wenn unsere Kinder in 40 Jahren ebenfalls nicht nachvollziehen können, dass wir nichts wussten, dürfen wir uns nicht wundern.


Zuschauer: Ich wollte nun noch einmal auf den Charakter von Frau Tabori eingehen! Für mich ist es gar nicht so eine starke Frau, wie vielleicht angenommen wird. Eine Zuschauerin machte die Bemerkung, dass Frau Tabori ein starker Charakter wäre. Im Zug holt sie sich als Stütze immer wieder die Bilder aus der Vergangenheit. Es sind schöne Bilder, aber auch Erinnerungen, die nicht so gut waren, die mit Verbot zu tun haben. Und deshalb glaube ich auch zu wissen, warum sich diese Frau nicht gemeldet hat, als es darum ging, zu sagen, dass sie nur irrtümlich hier wäre. Sie hatte noch die ganze Zeit den Satz des Vaters im Ohr:“ Du musst lernen, zu gehorchen!“


Die Hauptfigur Elsa (Taboris Mutter) erinnert sich während der Zugfahrt an einen Tag in ihrer Kindheit, in dem sie in das Praxiszimmer ihres Vaters stürzt und ihn dabei erwischt, wie er mit einer Frau sexuellen Kontakt hat.


Zuschauer: Hat George Tabori eigentlich erzählt, wie seine Mutter sich danach verhalten hat, nach diesem Tag, wo sie beinahe deportiert wurde? Wie war sie danach? Ich hatte manchmal das Gefühl, dass sich diese Geschichte zwar auf einer wahren Begebenheit aufgebaut hat, doch es konnte auch so sein, dass sie auch nur alles erfunden hat. Sie war ja am Abend wieder da.


Verhoeven: Als erstes hat Tabori sie ja erst nach Kriegsende wieder gesehen, da er ja bei BBC in London gearbeitet hat. Doch er erzählte, dass sie danach seelisch ganz anders war. Es war, als ob sie manchmal versteinert war. Und ich glaube schon, dass die Geschichte auch stattgefunden hat. Warum sollte sie lügen?


Zuschauer: Das kann ich aber nicht verstehen?  Sie war wie aus Stein? Denn im Film hatte sie sich ja gleich nach ihrer Ankunft in Budapest ans Romme-Spiel gesetzt. Sie hat sich gleich sehr erfolgreich in ihren normalen Alltag geflüchtet. Oder?


anderer Zuschauer: Ja. Aber dass sie sich verändert hat, sieht man doch an der Geschichte des SS-Offiziers. Vor diesem Tag hätte sie vielleicht gesagt, dass die Geschichte des ermordeten Schneiders schrecklich ist.


Noch einmal wird hier die Geschichte mit dem SS-Offiziers angesprochen, der während der Rückfahrt von dem Pfarrer erzählt, der seine Kirchenbesucher dazu aufhetzt, einen jüdischen Schneider zu ermorden und in der Kirche verscharren.

Verhoeven antwortet nicht mehr, da die Frage bereits beantwortet wurde.


Zuschauer: Karl Zuckmayer hat ja mal einen ähnlichen Humor gegenüber solch ernster Thematik entwickelt und seine Kritiker gingen nicht sehr freundlich mit ihm um. Hatten sie auch solche Probleme mit der Kritik?


Verhoeven: Nein. Also über die Kritik kann ich mich nicht beklagen. Ich kann eigentlich ganz zufrieden sein. Klar, manche negative Kritik, wenn sie denn fachlich und kompetent ist, muss man immer mal einstecken. Nun will ich aber mal zu einer anderen Frage kommen, die sowieso gleich gestellt wird. Deshalb beantworte ich sie auch gleich. Und zwar fragen sie sich bestimmt schon eine ganze Weile, warum dieser Slapstick dort eingebracht wurde. Warum die altersschwachen Geheimpolizisten so tollpatschig sind und andere Szenen. Es ist eigentlich ganz einfach: Zum einen benutzt auch Tabori Humor und Komik in seiner Erzählung über seine Mutter und außerdem soll es diese Haltung der unbekümmerten Täter zeigen. Slapstick ist meist noch mit einer Katastrophe verbunden.


Zuschauer: Wozu war dieser Anfang gedacht, wo Tabori einen Auftritt hat, in einer "Film im Film" Sequenz?


Verhoeven: Ich wollte mich damit distanzieren von der Wirklichkeit. Mit dem Dreh-Set, mit der Kamera im Hintergrund wollte ich klar machen, dass es sich hierbei um einen Film handelt. Der wirkliche Holocaust kann einfach nicht erzählt und gezeigt werden.


Zuschauerin: Ich fand "Mutters Courage" sehr gut. Doch ich bin noch ein größerer Fan von "Die weiße Rose". Er war viel stärker für mich, viel intensiver. Glauben sie, noch einmal solch einen tollen Film drehen zu können?


Verhoeven: "Die weiße Rose" war irgendwie eine ganz andere Zeit. Ich glaube nicht, dass man heute noch einmal so etwas drehen kann.

(Die Gesprächsaufzeichnungen sind ohne technische Mittel nach Gedächtnisprotokoll entstanden)


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