Montag, 21. September 2020

JENS BECKER: "1918-Aufstand der Matrosen", "Adamski", "Tatort" und "Grönland"

PERSÖNLICHES INTERVIEW: JENS BECKER am 15.06.2019 auf der SERIALE in Gießen (Hessen)

Jens Becker (Foto: Jens Becker)

Dennis Albrecht und Jens Becker,
auf der SERIALE in Gießen 2019
(Foto: Jens Becker)


Er war einer der letzten Studenten, die ihren Abschluss an der Konrad-Wolf Filmschule unter dem Logo der DEFA  und der DFF  gemacht haben. 1990  war sein Abschlussfilm „Grönland“ fertig. Dann ging es über Fernsehfilme (zB Tatort) zu anspruchsvollen Doku-Dramen wie zB „1918 Aufstand der Matrosen“, die für ARTE produziert wurde. Seit 2004 arbeitet er als Professor für Drehbuch an der Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“. Auf dem WebSerienFestival DIE SERIALE in Gießen habe ich nach 22 Jahren wiedergetroffen, denn im Mai 1997 haben wir zusammen einen Drehbuchworkshop in Los Angeles besucht. 


DENNIS ALBRECHT: Du hast 1997 an einem Drehbuch-Workshop in Los Angeles teilgenommen und dabei Hollywood kennengelernt. Was hast du bei diesem kurzen Besuch (2 Wochen) in der Traumfabrik mitgenommen? Welche Eindrücke sind dir haften geblieben?


JENS BECKER: Also, ich fand, das war ein total spannender Ausflug in eine andere Welt, aber es hat mich auch abgeschreckt. Ich habe mich selten so sehr als Europäer gefühlt wie dort. Ja, mir war das alles fremd. Ich fand Los Angeles absolut hässlich. Das war für mich wie so eine Ansammlung von Garagen. Das war für mich aber eine ganz wichtige Exkursion, weil ich damit verstanden habe, dass mein Platz wirklich in Europa ist. Ich ticke irgendwie anders. Ich bin mit der DEFA ostsozialisiert, mit russischen Filmen, usw. Ich hatte in Babelsberg damals eine recht solide Filmausbildung. Wir haben ja ganz viele Filme gesehen. Die filmwissenschaftliche Ausbildung war so gründlich, so etwas findest du ja heute eigentlich gar nicht mehr - auch nicht in Babelsberg. Wir haben uns z.B. ein Semester nur mit Filmen des Neorealismus beschäftigt oder nur Nazifilme analysiert. Meine Ausbildung war hervorragend. Aber dieser Einschnitt 1991, als ich selbstständig und dann auf einen Markt geschmissen wurde, für den ich nicht vorbereitet war, das war schon sehr schwierig für mich. Und ich habe ja dann die ersten Jahre auch, also nach dem Erfolg von „Adamski“ (Förderpreis Max Ophüls 1994), auch sehr kommerziell gearbeitet. Ich habe einen Tatort gedreht und Serien gemacht als Autor/Regisseur. Und da habe ich aber gemerkt, dass mich das nicht glücklich macht. Ich hatte so ein bisschen meinen Lebensweg verlassen. Das war der Wendepunkt. Der Tatort hatte eine Super-Quote. Das waren über 10 Millionen Zuschauer. Das war damals irre viel, aber die Arbeit war richtig scheiße, wenn ich das mal so salopp zusammenfassen darf. Und der Film hatte nichts mehr mit mir selbst zu tun. Danach habe ich beschlossen, dass ich eine Kehrtwende mache und dass ich wieder möglichst nur noch Filme mache, die etwas mit mir zu tun haben. Ich sage „möglichst“ weil ich ja auch meine Miete bezahlen muss. Die Filme wurden dann natürlich erst einmal kleiner. Das waren dann für ein paar Jahre zum Beispiel nur ein paar Dokumentarfilme. Zum Beispiel „Henker- Der Tod hat ein Gesicht“, an dem habe ich dann 7 Jahre gearbeitet. Ich sage jetzt „nur“ Dokumentarfilme, weil das in der Öffentlichkeit nicht so als gleichwertig gegenüber den Spielfilmen angesehen wird. Weil man dann wirklich einfach weniger Geld verdient. Aber die Arbeit ist toll. Ich bin bei „Henker“ gut bezahlt worden. Es ist ja nicht so, dass man das dann nur macht. Beim Dokumentarfilm musst du immer mehrere Sachen gleichzeitig machen, um davon leben zu können. Deshalb waren das auch sehr produktive Jahre. Ich hab da in jedem Jahr 2-3 Filme gemacht, um auch einfach davon leben zu können. Und habe auch weiter Drehbücher geschrieben. Dann kommt man auch in Ecken, von denen man vorher gar nichts geahnt hat. Was ich in den letzten Jahren viel gemacht habe sind Doku-Dramen - da wo ich Spielfilm und Dokumentarfilm kombinieren kann. Und das auch noch im historischen Kontext, weil mich Geschichte total interessiert. Ich wollte als Kind Archäologe werden.

DENNIS ALBRECHT: Welchen Stellenwert siehst du in Spielszenen, die in Dokumentarfilmen eingebaut werden?

JENS BECKER: Doku-Drama heißt für mich NICHT „Reenactment“ (Nachstellen). Denn das bedeutet: Ich drehe die „Varus Schlacht“ mit 20 Komparsen, ziehe denen Kostüme und Sandalen an die Füße, lasse sie durch den Wald latschen, und ein Sprecher sagt: „Im Jahre 9 war es ein sehr warmer Sommer“. Das ist es eben NICHT. Sondern Doku-Drama heißt, dass du in den Spielfilm-Szenen reale und fiktive Figuren hast, die du in wirkliche Dilemmata schickst, d.h. es müssen echte Charaktere sein. Es sind keine Typen, die in eine historische Situation geraten und sich da als Figuren beweisen müssen. Und wenn du das so konsequent machst, dann werden das ganz lebendige Figuren, so wie im Spielfilm auch. Dann entsteht Spannung, Emotion, Identifikation oder Abstoßung. Das ist das Beste, was man aus einem Spielfilm gewinnen kann. Und wenn du das dann mit dem dokumentarischen Element verbindest, hast du auf der anderen Seite das faktische Element. Das ist dann natürlich für ein Publikum, dass sich für historische Dinge interessiert, welches auch etwas wissen und erfahren will. Aber du hast durch die Spielfilm-Seite auch eine so starke Emotion, dass du das Publikum auch richtig fesselst. Man könnte auch boshaft sagen: Doku-Drama ist eine Billig-Version vom Spielfilm. Wenn wir zum Beispiel meinen Film nehmen, „1918 - Aufstand der Matrosen“: Der hat 1.2 Millionen Euro gekostet. Also das ist ein normaler „Tatort“-Etat. Da bieten wir aber einen historischen Film, jedoch nur mit 60 Minuten netto Zeit für die Erzählung. Die anderen 30 Minuten sind dokumentarisch und damit sehr preiswert. Das heißt, die Redaktion bekommt einen 90 Minuten Film, der eine ganz starke Bildersprache hat, das Gefühl von 1918 erzählt und das für 1,2 Millionen Euro. Hätte man das als reinen Spielfilm gemacht, dann wären wir irgendwo zwischen 3-4 Millionen Euro gelandet. Es ist somit besser zu verkaufen. Und ich finde es eben ganz spannend, weil es im Idealfall das Beste aus beiden Welten vereint. Wiederum ist es ein ganz schwieriger Spagat zwischen historischer Genauigkeit und Unterhaltung. Ich muss die Geschichte so zuverlässig auf der Höhe der Zeitforschung erzählen, so dass Historiker sagen: „Im Prinzip stimmt das.“ Auf der anderen Seite muss ich das Publikum einfach unterhalten. Das haben die auch verdient. Die geben 90 Minuten ihrer Lebenszeit dafür, das zu gucken und dann sollen die auch gut unterhalten werden. Das ist aber auch hinzukriegen und das ist die hohe Kunst.

DENNIS ALBRECHT: Wie siehst du heute die realistischen Chancen für Filmstudenten? Ist der Markt nicht schon voll?

JENS BECKER: Ich sag manchmal einen bösen Satz: „Der Markt ist eigentlich voll und niemand wartet wirklich auf Drehbuchautoren. Nur die sehr guten Autoren sind immer gefragt, deswegen nehmen wir nur diese und die guten Autoren schon nicht mehr.“ Und ich kann nur für diese sehr guten Autoren sprechen. Und diese bilden wir eben in Babelsberg aus und die gehen super weg. Also, wenn die sich nicht selbst im Weg stehen, dann finden die alle ihren Platz. Und meine Erfahrung ist es, dass es gerade „goldene Zeiten“ sind für Stoffentwickler. Und es ist auch ganz schön breit gefächert. Die landen nicht nur beim Film, die sind bei Games, Hörspielen, VR-Storytelling oder schreiben Romane. Da geht für mich auch das Konzept von Babelsberg auf, da wir auch versuchen, sie möglichst breit aufzustellen und auch für Märkte, die es noch gar nicht gibt. Unsere Leute schreiben z.B. Webserien. Da haben wir uns ja heute (auf der Seriale) unterhalten, ob es da überhaupt einen Markt gibt. Ich glaube daran, dass er kommt. Ich bin davon überzeugt.

DENNIS ALBRECHT: Wie stehst du zu dem politischen Thema in Görlitz, wo Filmschaffende (im Sommer 2019) eine „Wahlempfehlung“ gegen die AfD publiziert haben?

JENS BECKER: Ich finde die AfD-Erfolge in den neuen Bundesländern sehr bedrückend, gerade als Ostdeutscher. Weil ich verstehe wo es herkommt. Ich sehe dort ganz viele Menschen, und das sind nicht unbedingt die Abgehängten dabei, sondern das geht schon quer durch alle Schichten. Da sind durchaus auch erfolgreiche Menschen, die ihren Lebensplatz gefunden haben und die trotzdem AfD wählen, weil einfach die Kränkung der Ostdeutschen so tief sitzt, dass ihre Lebensleistung in der DDR nicht anerkannt wird. Und das spiegelt sich ja auch in Filmen wieder. Es gibt ja zum Beispiel ganz viele Filme, die so grottenschlecht sind, wie „Das Leben der Anderen“ oder so, die von Ostdeutschen eher als Beleidigung aufgefasst werden. Ich glaube, dass jede Gesellschaft einen gewissen Bodensatz an rechter Politik und Rechtsradikalen hat. Und es gehört zur Demokratie, dass diese Leute Parteien gründen dürfen. Und dass sich das auch in Wahlergebnissen widerspiegelt. Allerdings, wenn jetzt eine Partei wie die AfD 20-30% bekommt, ist das wirklich bedrückend. Und zwar deshalb, weil ja diese Partei absolut keine Antworten auf viele Fragen hat. Wenn wir zum Beispiel den Bereich der Kultur nehmen, dann gehen die ja einen Weg zurück zum Nationalismus, hin auch zu Restriktionen. Das geht ja in Sachsen zum Beispiel schon los, wo sie ja relativ stark sind und wo sie fordern, die Kunst möge unpolitisch sein. Ich weiß überhaupt nicht, was das sein soll? Unpolitische Kunst!? Das gab es niemals. Schon im alten Griechenland war die Kunst immer politisch, das war nämlich Kritik an den Herrschern. Und so ist das ja heute auch. Noch nicht einmal „Fack ju Göhte“ ist unpolitisch. Das finde ich schon sehr bedrückend. Ich sehe aber auch anderseits etwas, was von Vorteil sein könnte und was uns noch nicht ganz klar ist. Wenn wir jetzt mal auf Görlitz gucken: Da hat der AfD-Kandidat im ersten Wahlgang tatsächlich die meisten Stimmen bekommen. Das hat zur Folge, dass alle anderen sich jetzt zusammenschließen müssen, um mehr Stimmen zu haben. Und das aktiviert ganz viele Leute, die vorher vielleicht gar nicht so politisch waren, die aber jetzt plötzlich begreifen: Es geht um meine Stadt! Oder es geht um mein Bundesland! Hier in Görlitz müssen sich jetzt die Anhänger der CDU, der Grünen und der Linken einig werden, einen Kandidaten zu wählen und zwar in diesem Falle jenen der CDU, um den AfD Kandidaten zu verhindern. Das finde ich ganz interessant. Die Frage ist: Schaffen wir es, eine Mehrheitsgesellschaft zu sein, die sich einig ist, im Kampf gegen Rechts und Rechtsradikal? Da entwickelt sich also ein Bewusstsein, für Schnittstellen, wo wir sagen: „Wir haben zwar verschiedene Ansichten im Detail, aber wir sind doch alle Demokraten.“ Und wenn sich eine Mehrheit einer Gesellschaft darauf einigen könnte, dass sie sich als Demokraten sehen, dann fände ich das schon toll. Dann hätte der Kampf dieser Mehrheit gegen die AfD wirklich einen Sinn. Ob in Görlitz der Bürgermeister von der AfD oder von der CDU ist, scheint auf den ersten Blick nicht relevant zu sein, denn eigentlich macht ja die Verwaltung den Job. Aber das täuscht. Denn eigentlich ist es doch so: Wenn das Rathaus von einer rechten Partei bestimmt wird, die z.B. in ihrem Programm ganz konkret zu stehen hat, dass sie Grenzen wieder hochziehen wollen, dass sie Grenzanlagen wieder aufbauen möchten, um sie in einem „Notfall“ wieder benutzen zu können. Görlitz ist eine geteilte Stadt! Das heißt auf Deutsch, die wollen da auf der Brücke über der Neiße im Grunde die Grenzsicherungsanlagen wieder so haben, dass man sie von einem Tag auf den anderen dicht machen kann. Man muss das mal wirklich konkret übersetzen. Und da fragt man sich: Hat die Filmindustrie wirklich noch Lust in solch einer Stadt zu arbeiten? Ich denke NEIN! Ich plane im Sommer einen Workshop in Görlitz mit Filmstudierenden der Hochschulen aus Babelsberg und aus Poznan/Polen. Das haben wir letztes Jahr schon einmal gemacht. Und das ist mit Slavomir Itziak, einem großartigen Kameramann aus Polen, der den Workshop leitet. Und da gibt es dann immer ein traditionelles Foto mit beiden Bürgermeistern. Mir fehlt die Fantasie, dass ich lächelnd neben einem AfD-Bürgermeister stehen könnte. Nein, das werde ich nicht machen. Und da geht es doch los. Will ich dann in solch einer Stadt drehen oder einen Workshop machen? Nein! Wenn der AfD-Kandidat jetzt gewinnen sollte, dann gehe ich woanders hin. Dann gehe ich nach Frankfurt/Oder oder so. Ich finde es wahnsinnig, dass gerade solch eine Partei gerade in Ostdeutschland Fuß fassen kann. Ich habe ja dazu ein Schlüsselerlebnis. Ich bin ja noch am 6. November 1989 „Reisekader“ geworden, wie es damals in der DDR hieß, d.h. ich konnte meine erste Westreise machen. Und mein damaliger Rektor Lothar Bisky hat mir an jenem Tag meinen Pass gegeben, damit ich zum Festival der Filmhochschule München reisen konnte. 3 Tage vor Maueröffnung. Konnte ja damals keiner wissen. Am Tag der Maueröffnung war ich auf Schloss Neuschwanstein! Das ist ein Erlebnis, das werde ich nie vergessen. Das war so krass, zu sehen, wie hoch gerüstet diese Grenze war. Und wie gefährlich die war. Das hatte ich vorher nicht wirklich im Bewusstsein, weil ich die ja nie passieren durfte. Ich erinnere mich noch sehr daran, in meiner Kindheit, an Grenzkontrollen in Polen oder nach Tschechien oder nach Ungarn . Das war immer sehr menschenfeindlich. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit an Grenzkontrollen, wenn man aus Ost-Berlin rausfuhr, in die DDR, das war ja damals noch sozusagen Zone. Auch da gab es damals noch einen Schlagbaum. Das war wirklich krass. Als ich dann in München war, da habe ich meinen ältesten westdeutschen Freund kennengelernt, Stefan Tolz, heute ein Filmproduzent und Regisseur. Wir sind bis heute noch befreundet. Und der hatte einen VW-Käfer und sagte: „Weißt du was, wir fahren heute mal nach Österreich.“ Und ich hab antwortete: „Stefan, ich kann nicht nach Österreich fahren. Wenn ich einen Stempel aus Österreich in meinem Pass habe, was meinst du was mir dann blüht? Was ich dann für einen Ärger mit der Stasi kriege!“ Und da hat er gesagt: „Du kriegst keinen Stempel! Ich habe ein Münchener Kennzeichen an meinem Auto! Wir fahren da einfach durch! Und ich habe ihm dann geglaubt. Und auch irgendwie nicht. Und ich weiß dann noch, als wir dann wirklich an der Grenze waren, ich hab mir fast eingeschissen vor Angst, weil ich dachte, wenn ich jetzt einen Stempel bekomme, dann ist es vorbei. Und dann hatten die uns durchgewinkt, nur weil wir ein Münchner Kennzeichen hatten. Das war ein Erlebnis, das werde ich in meinem ganzen Leben niemals vergessen, weil ich so etwas in meinem ganzen Leben bis dahin nie gehabt hatte. Und deswegen finde ich, dass es einer der größten Errungenschaften von Europa ist, so frei reisen dürfen. Natürlich hat das seine Schattenseiten. Es begünstigt Terroristen, wenn sie untertauchen wollen usw. Aber ich finde, die Freiheit, die wir da gewonnen haben, die kann man gar nicht hoch genug schätzen. Neben der Freiheit sollten wir auch nicht vergessen, dass wir keine Kriege mehr miteinander führen. Gerade ich, der sich so viel mit Geschichte beschäftigt, weiß das zu schätzen. Dieser Hass zwischen Deutschen und Franzosen, der Jahrhunderte lang dauerte oder Deutsche und Engländer, dieser Hass ist einfach weg! Es gibt ihn einfach nicht mehr und das ist so großartig. Und das ist etwas, was wir bewahren müssen. Das ist die Aufgabe unserer Generation und auch der nachfolgenden.

DENNIS ALBRECHT: Deine beiden Spielfilme „Grönland“ oder „Adamski“ wurden damals auf Filmmaterial gedreht. Heute kann man alles in 4K archivieren. Ist Digitalisierung ein Fluch oder ein Segen?

JENS BECKER: Beides. Das Tolle an der Digitalisierung ist, dass du Filme ganz unkompliziert und schnell in die Kinos bringen kannst. Zum Beispiel mein Doku-Drama „1918 - Aufstand der Matrosen“ ist ja ein TV-Film. Trotzdem hatten wir damit auch schon 10 Kinovorstellungen. Das geht einfach mal so. Früher hast du für eine Kopie bis zu 2.000,00 DM bezahlt und du musstest eine spezielle Filmabtastung machen. Das war richtig teuer. Das konnte man sich gar nicht leisten. Und heute? Das geht eigentlich relativ schnell. Wenn du erst einmal eine Digitalisierung hast, dann kannst du unendlich vervielfältigen. Und wenn du jetzt eine kleine Doku hast und willst den mit 10 Kopien einsetzen, dann ist es überhaupt kein Problem bei Erfolg am nächsten Samstag 20 Vorführkopien zu haben. Das kostet fast nichts. Das ist großartig. Der Nachteil ist meiner Meinung nach der, dass natürlich die Global-Player die Kinos erpressen. Wenn die Kinos die wirklich tollen Filme haben wollen, wie z.B. die „Avengers“, dann kommt die Ansage, dass du die aber auch mind. 4 Wochen spielst und davon 2 Wochen in den Hauptsälen. Das macht die Kinos kaputt. Es hat alles seinen Vor- und Nachteil. Auf die Filmgeschichte bezogen ist die Digitalisierung erst mal auch ein Nachteil, weil du musst erst einmal Geld um haben, um diese Filme zu digitalisieren. „Grönland“ z.B. wird jetzt digitalisiert, weil es ein Film aus der Wendezeit ist, der schon vergessen wurde. Und jetzt haben wir ja nächstes Jahr 30 Jahre Deutsche Wiedervereinigung. Der ist in dieser Zeit entstanden und der beschreibt diese Unsicherheit zu diesen Zeitpunkt ziemlich genau, als es die DDR nicht mehr wirklich gab, aber das neue Deutschland auch noch nicht so richtig. Und „Adamski“ ist momentan noch total in der Vergessenheit, was aber nicht dramatisch ist. Früher habe ich immer gesagt: „Das Tolle am Film ist: Wenn er einmal da ist, dann ist er für immer da. Der ist sozusagen im kollektiven Gedächtnis der Menschheit. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt. Filme kommen und gehen auch wieder. Das ist aber wirklich nicht so schlimm, da sie irgendwann wiederentdeckt werden können und man sie wieder ausgräbt. „Adamski“ hat z.B. ein ausgeprägtes Ost-Berlin-Bild von 1991-1992. Da siehst du die Stadt in einer Weise, wie man sie heutzutage gar nicht mehr kennt. Wir haben im Kaufhaus am Alex gedreht. Wir haben ganz viel in der Schönhauser Allee gedreht und in Mitte, in einer Zeit, als alles noch nicht restauriert war. Es hatte noch diese Ver-kommenheit der DDR. Wir haben im alten „Tacheles“ gedreht, was es ja schon ewig nicht mehr gibt. Und ich denke, der Film wird irgendwann wiederentdeckt werden. Ich sehe das ganz entspannt. Ich muss dafür gar nichts tun, das kommt von ganz alleine. Irgendwann.

DENNIS ALBRECHT: Wieviel Unabhängigkeit spürst du in deinen Projekten? Die „Tatort“ Arbeit hat dir damals nicht wirklich gefallen. Arbeitest du heute nur noch so, dass du darauf „Bock“ hast?

JENS BECKER: Ja! Ich hab mich nach dieser Tatort-Erfahrung vom Format-Fernsehen total verabschiedet. Das macht mich nicht glücklich. Ich mache eigentlich nur noch Sachen, auf die ich Lust habe und das geht im dokumentarischen Bereich leichter, als beim Spielfilm. Dadurch entstehen mehr Doku- als Spielfilme, was ganz simpel mit der Finanzierung zu tun hat. Spielfilme sind einfach teuer und man braucht 3-4 Jahre, bis man was vorweisen kann. Bei Doku geht es idealerweise vielleicht mal innerhalb eines Jahres. Unabhängigkeit muss nicht unbedingt heißen, dass die Idee von mir kommt. Ich bekomme relativ viele Angebote, wo ich dann die Freiheit habe, die relativ unabhängig auszugestalten. Jetzt arbeite ich an einem Projekt für die ARD. Da habe ich sehr viele Freiheiten innerhalb dieses Projektes, mich zu verwirklichen. Nur weil man eine Auftragsarbeit macht, heißt das jetzt nicht, dass man sich auch nicht verwirklichen kann. Auf der anderen Seite, bei Sachen die ich selber initiiere, da ist der Aufwand schon viel größer. Zumindest bis zu dem Punkt, wo man damit Geld verdienen kann. Und ich muss auch Geld damit verdienen, mit dem was ich mache. Deswegen ist das bei mir immer so ein Mix. Ich mache Sachen, wenn sie mir angeboten werden, wenn ich mich damit identifizieren kann und wenn ich da einen Freiraum finde, es auf meine Weise zu erzählen. Und ich versuche auch immer Sachen zu initiieren, an denen ich interessiert bin und bin da auch sehr geduldig und das dauert manchmal auch Jahre, bis daraus ein Film wird. Aber es klappt öfter mal.

DENNIS ALBRECHT: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch!


Jens Becker in Los Angeles 1997 

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