KINODISKUSSION MIT THOMAS BAUERMEISTER
im Kino “Nassau-Lichtspiele” in Haiger (April 1993)
Moderatorin: Ich freue mich ganz herzlich, Sie hier als Publikum begrüßen zu dürfen. Und bin froh, dass trotz des schönen Wetters einige interessierte Filmfreunde den Weg in unser Kino gefunden haben. Es war bestimmt nicht leicht, den Grill-Abend abzusagen, um solch einen Film mit solch einem schweren Thema sich anzusehen. Denn ich habe gemerkt, dass zwar dieses Thema uns alle angeht, doch nicht viele sich damit beschäftigen wollen.
Thomas Bauermeister: Ja, das habe ich auch schon gemerkt. Wer will heute, bei den vielen Schreckensmeldungen, die jeden Tag in den Nachrichten vorkommen, noch einen Film über Kinder von Tschernobyl sehen? Überall auf der Erde sind Menschen in Not. Die Menschen von Tschernobyl sind nur ein Teil davon.
Zuschauer: Gab es eigentlich große Schwierigkeiten, dort in der Ukraine zu drehen? Es war ja bekannt, dass die Behörden die Vorgänge in Tschernobyl vertuschen wollten. Wurden sie beim Drehen behindert oder gestört?
Bauermeister: Nein, überhaupt nicht. Und das hat mich auch überrascht. Die Behörden haben uns alles machen lassen, egal wo wir gedreht haben. Selbst Archivmaterial vom Unglück, von den Löscharbeiten und so weiter wurde uns zur Verfügung gestellt.
Zuschauer: Hatten sie nicht bedenken um ihre Gesundheit? Die Strahlung ist dort doch immer noch sehr hoch?
Thomas Bauermeister: Das ist wahr. Aber wenn man sich nur für einen bestimmten Zeitraum dort aufhält, kann eigentlich nichts schlimmes passieren. Wir mussten nur darauf achten, was wir zu uns nahmen. Wir wurden nämlich sehr oft auch zum Essen eingeladen und diese Menschen ernähren sich zum größten Teil von verstrahlter Nahrung, da sie sonst nichts anderes haben. Durch diese Bedenken, gerade wegen der Gesundheit, ist mir übrigens kurz vor Beginn der Dreharbeiten der Kameramann abgesprungen. Er hatte mir mit einigen nicht gerade nachvollziehbaren Erklärungen abgesagt, da gesundheitlich wirklich kaum etwas in der kurzen Aufenthaltszeit geschehen konnte. Doch er hatte einfach Angst, was irgendwo auch verständlich ist.
Zuschauer: Ich verstehe nicht, warum das Bau-Projekt einer neuen Siedlung, weit außerhalb des verstrahlten Gebietes nicht richtig von den Menschen dort angenommen wurde?
Thomas Bauermeister: Nun, zum einem besteht die Vorstellung von einem schönen Zuhause bei den Russen vornehmlich aus einer günstigen Mietwohnung in einem Hochhaus, ohne Landbesitz! Aber mit fließendem Wasser und einer Toilette im Flur. Zum anderen verlassen sie nicht sehr gern ihre Heimat und besonders die alten Leute haben nicht mehr die Kraft für solch eine Veränderung. Und die Kinder selbst verstehen noch gar nicht, warum sie weg gehen müssen. In der verstrahlten Zone, in den Städten, wird übrigens auch wieder gebaut. Arme Familien aus anderen Gebieten der Sowjetunion rücken nach, wenn irgendwo etwas frei wird. Vielleicht, weil es dort noch billiger zu leben ist riskieren sie ihre Gesundheit.
Zuschauer: Sie unterstützen mit diesem Film einige Projekte. Können sie darüber etwas erzählen?
Thomas Bauermeister: Ja, sie sind nach dieser Veranstaltung herzlich dazu eingeladen, eine Spende abzugeben. Damit soll eine Fabrik gebaut werden, die strahlenfreie Nahrung produzieren kann. Aber es bedarf noch an viel mehr Hilfe, die unter anderem von der “oppositionellen Bürgerbewegung” durchgeführt wird. Zum Beispiel die Projekte für Umsiedlungen, Kindererholung in Deutschland und vieles mehr. Deutschland ist sowieso eines der wenigen Ländern, die überhaupt helfen.
Nachtrag: Die Fabrik für Babynahrung wurde ein Jahr später vom Berliner Verein „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung e. V.“ aus den inzwischen gesammelten Spendenmitteln erworben und konnte endlich nach einigen Hindernissen im radioaktiv unbelasteten Norden von Belarus die Produktion für Babynahrung aus biologischen Anbau aufnehmen. Beliefert wurden die Säuglingsstationen der Krankenhäuser in der am höchsten belasteten Region um Gomel, der Bezirkshauptstdt im Süden. (Thomas Bauermeister, April 2021)
Nachtrag: Die Fabrik für Babynahrung wurde ein Jahr später vom Berliner Verein „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung e. V.“ aus den inzwischen gesammelten Spendenmitteln erworben und konnte endlich nach einigen Hindernissen im radioaktiv unbelasteten Norden von Belarus die Produktion für Babynahrung aus biologischen Anbau aufnehmen. Beliefert wurden die Säuglingsstationen der Krankenhäuser in der am höchsten belasteten Region um Gomel, der Bezirkshauptstdt im Süden.
(Thomas Bauermeister, April 2021)