Donnerstag, 27. April 2023

CHRISTIAN PETZOLD: "Undine"

KINOGESPRÄCH MIT CHRISTIAN PETZOLD & PAULA BEER  am 30.06.2020 im ZEISE KINO HAMBURG



Matthias Elwardt: Herzlich Willkommen Paula Beer, die für die Rolle in „Undine“ einen silbernen Bären auf der Berlinale bekommen hat. (Applaus) Und sie hat auch schon 2016 für „Franz“ von Francois Ozon den „Marcello Mastroiani-Preis“ bei den Filmfestspielen in Venedig bekommen. Es gibt 3 große A-Festivals und zwei hat sie davon schon als Schauspielerin gewonnen. (Applaus)

Lieber Christian. Was waren die ersten Bilder, die ersten Ideen für diesen Film? Du hast ja davor schon mit Paula Beer und Franz Zogowski „Transit“ gedreht. Hat das eine Rolle gespielt? Hast du die beiden im Kopf gehabt und gedacht, ich erzähle eine Liebesgeschichte?


Christian Petzold: Wir haben bei „Transit“ melancholische Nachmittage verbracht, als wir zum Ende der Drehtage kamen. Ich war so begeistert von den beiden. Paula stirbt, sie ertrinkt im Mittelmeer. Und Franz wartet auf sie. Irgendwann saßen wir in der Pizzeria und da habe ich, weil ich mit beiden weiterarbeiten wollte, schnell eine Geschichte erfunden. Ich habe so getan, als ob da schon 120 fertige Seiten bei mir zu Hause in der Schublade liegen. Ich habe mich auf mein Talent für Improvisation verlassen. Die haben mich aber sofort durchschaut, haben es mir aber nicht gesagt. Ich hatte mir vorgestellt, dass es da eine Geschichte gibt, von einer Frau, die aus dem Wasser kommt und auf dem Land ihren Geliebten sucht. Es geht um einen Geliebten, der dann ins Wasser geht, um dort seine Geliebte zu suchen. Und die beiden begegnen sich in dem Film „Undine“.

Ich wollte nur noch kurz sagen: Das ist jetzt das 5. Kino, in dem ich bin. Ich sehe wieder Publikum! Ich hatte eine Corona-Erkrankung und habe sehr viel Netflix konsumiert. Auch das ZDF-Archiv "Sportstudio" von 1966 kam zur Geltung. Und da hab ich mir so gedacht: Als ich meine Frau kennengelernt habe, lebte sie in so einem Mietshaus in Berlin-Moabit. Der Sohn des Besitzers hatte ein Haus gegenüber, ein Loft. Dort baute er sich eine Bar rein. Nach drei Wochen war diese Bar fertig. Ich sah ich ihn dort alleine sitzen, an seiner Bar. Er trank da mit sich selber. Und ich dachte bei dieser Erinnerung: So ähnlich ist Netflix. Es können mir Leute erzählen, dass sie zu Hause einen 4 K Beamer haben, wie zum Beispiel mein Kameramann. Der hat 5x9 Meter und Soundsystem. Aber man bleibt immer der Mann, der allein an seiner Bar sitzt. Das Kino ist ein Ort, wo man sich gemeinsam in die Einsamkeit stürzen kann. Wenn man dann hier so in den Saal sieht, das sieht ja so ein bisschen aus wie im Fußballstadion von Borussia Mönchengladbach. Aber immer noch besser als der Mann in seiner Bar, der ja nur noch an Selbstmord denken kann. (Raunen im Saal. Wegen der Pandemie konnten nur 1/3 durch Plätze im Kino besetzt werden.)

Aber die Antwort auf deine Frage habe ich doch trotzdem gegeben, oder? (zu Matthias Elwardt).

Ich habe die Undine Geschichte den beiden erzählt und hab mich dadurch verpflichtet, während wir schon „Transit“ geschnitten haben, jene zu entwickeln. Im selben Jahr, im Herbst, habe ich euch das Drehbuch gegeben. Oder vertue ich mich jetzt um 15 Jahre? Nein! Zur Buchmesse! Da bekam Paula den hessischen Filmpreis? Nein, das war ein Jahr später. Ich habe übrigens noch nie einen Politiker wie Volker Bouffier gesehen. CDU ist echt nicht mein Ding. Der Typ schlief zwei Stunden, wachte auf, ging auf die Bühne, hielt eine gute freie Rede, ging wieder zurück und schlief weiter. Während hinter ihm Michael Madsen saß, der aus „Pulp Fiction“ mit dem Cowboyhut, der hatte komplett durchgeschlafen. Bei dieser Veranstaltung habe ich Paula getroffen. Und da hat sie zu mir gesagt: „Das Drehbuch ist gut, das können wir drehen“.


Matthias Elwardt: Paula, wie war das für dich? Ist das ein Dremteam für dich mit Franz und Christian?

Paula Beer: D
as schwingt natürlich mit. Aber für mich war es das erste Mal, dass ich in so kurzer Zeit mit dem gleichen Regisseur und mit dem gleichen Spielpartner zusammenarbeitete. Deshalb dachte ich schon beim lesen, dass das schon schön wäre, wenn das Drehbuch jetzt noch gut wäre. Während der Zeit zu dieser Preisverleihung in Frankfurt wollte ich das Drehbuch in meinem Hotel unten in der Rezeption ausdrucken lassen. Aber dann gab es einen Formatierungsfehler von dem Dokument. Bei 400 Seiten konnte ich immer nur 4 Sätze lesen...


Christian Petzold: Das waren 400 Seiten?


Paula Beer: Ja! So war es aber ganz schön ,weil es dann wie so ein Märchenbuch war. Man blättert nur so ganz langsam durch, weil man ewig lang braucht. Ich fand es sehr schön, weil es von Anfang an so ein Traumcharakter hatte, eine sehr langsame Geschichte, die irgendwo in Berlin und eigentlich überhaupt nicht in Berlin stattfindet. Dann war ich sehr euphorisch. Also es war eines der wenigen Bücher, wo ich von Anfang an gespürt habe, dass wird eine wunderschöne Reise.


Matthias Elwardt: Und war es schwer für dich in diese Rolle reinzukommen? Hast du dir Stadtführung eigentlich angeguckt? Wie bist du in die Rolle reingekommen? (Paula Beer spielt eine City-Guide für Berliner Architektur.)


Paula Beer: Ich habe tatsächlich überlegt, ob ich das für die Vorbereitung der Rolle mal machen sollte. Habe mich dann aber für die Märchenseite entschieden. Beim Film hat man so selten eine Figur, die so fantastisch ist und so mythisch aufgeladen. Es ist eben kein Märchenfilm, wo man in einem wallenden Kleid auf einem Pferd durch den Wald reitet. Eher ein Märchen, das in unserer heutigen Alltagswelt erzählt wird. Deshalb hatte ich Lust diesen Märchen- und Nymphencharakter erst mal so anzugehen und in unsere Welt zu bringen. Ich habe mich ganz viel mit Sagen beschäftigt, weil ich Märchen schon als Kind geliebt habe. Dieses Träumen in eine Welt, wo es Hexen und Elfen und Zauberer gibt, damit habe ich mich erst einmal beschäftigt. Auch was dieses Element Wasser angeht, warum es so viele Sagen gibt und was damit erklärt wird, das war spannend. Wasser ist im Märchen immer etwas sinnliches und weiches. Aber immer ist diese Kraft des Tötens oder diese Brutalität darin enthalten. Ganz viele Nymphen werden als sensibel, erotisch, schön und mit einer unheimlichen Kraft beschrieben. Das fand ich bei UNDINE schön, dass sie keine Projektion einer perfekten Liebe ist, sondern auch das Spiel mit dem Feuer. Sie wird dich ertränken, wenn du ihr das Herz brichst.


Matthias Elwardt: Christian, das ist ja dein erster Special Effekt Film, wenn ich mich richtig erinnere. Das war wohl sehr aufwendig. Wie ist das, unter Wasser zu drehen? Wie arbeitet mal als Regisseur unter Wasser? Wie bringt man eigentlich Wasser so auf die Leinwand?

Christian Petzold: Der erste Special Effect, den ich je machen musste, war beim „Polizeiruf“, weil bei einem Passanten, der durch das Bild lief, von dem hatten wir keine Persönlichkeitsrechte eingeholt. Der Praktikant war im Wohnwagen eingeschlafen. Somit mussten wir den Passanten wegretuschieren. Ich wollte nicht unbedingt Computersachen machen. Ich wollte wirklich eher eine Zauberwelt bauen, weil die Schauspieler auch verzaubert werden müssen. Die arbeiten wirklich unter Wasser, vor den Turbinen und zwischen Wasserpflanzen. Nur der Fisch, der ist wirklich Special Effect!

Sonst ist alles ziemlich echt. Nur eine Sache musste wir machen: Als Franz geweint hat und „Undine“ rief, brauchten wir zwei F/X Einstellungen. Tränen kann man nicht wiederholen und ich sagte: „Die Träne mache ich mit dem Computer.“ Und ja, das hat Arbeit gemacht! Computer können nicht weinen! Es war ganz schön viel Aufwand, die Träne zu finden, die genau so läuft, wie man es haben will. Beim Fernsehen benutzt man immer ein Gel. Damit die Träne schön langsam herunter rinnt. Die echten Tränen, die wir vergiessen, wenn man z.B. beim Fußball nicht aufsteigt, da gehen die Tränen immer ganz schnell. Aber das war eine gute Produktion mit den CGI-Leuten, die sonst immer Christopher Nolan arbeiten. Da war sofort so eine komische Sympathie. Einer von denen mag die Berliner Schule so gerne. Ich mag Action-Sequenzen ganz gerne. So konnten wir uns eingestehen, dass wir jeweils die andere Seite sehr lieben. Wir träumen auch gemeinsam davon, dass das Kino keine Trennung zwischen diesen Bereichen hat. Wir haben uns sehr gut verstanden. Der F/X Operator ist  auch Tauchen gegangen. Er war bei jedem Tauchgang dabei und hat sich dann immer alles mit angeguckt. Ich war auch bei ihm, wo er mit den vielen Computern gearbeitet hat. Mit seinen 35 Leuten, die dort arbeiten, in einem Loft über der Spree habe ich gequatscht, über vegetarisches Essen und ihre Eindrücke im „Berghain“ letzte Nacht.

Day for Night haben wir auch gemacht. Weil ich das märchenhafter finde, nicht in der Nacht zu drehen, sondern in einer „Amerikanischen Nacht“. Diese Einfärbung, diese Entsättigung hat aber Hans Fromm gemacht. Das haben nicht die Special Effect Leute gemacht.


Zuschauerin: Wie hast du das mit dem Aquarium gemacht?


Christian Petzold: Das war echt. Wir hatten ein riesiges Aquarium, das kannst du dir nicht vorstellen, da waren glaube ich 1200 Liter drin. Eins wurde in Berlin gebaut für die Explosion. Das war eine Katastrophe. Da flogen die Splitter 40m weit und haben Leute verletzt, die da am Bahndamm entlang gegangen sind. Dann haben wir das noch mal neu gebaut. Wir drehten im Märkischen Museum, wo aber Sprengungen verboten sind, weil es da keinen Raum gibt. So haben wir bei Schloss Burg bei Solingen einen Raum gefunden, wo wir Sprengungen machen können. Den haben wir dann zu einem Café umgebaut. Wenn sie da die Treppe hochgehen in Berlin, in dieses Lokal hinein, dann ist das nächste Lokal 600km entfernt. Das merkt man dann aber nicht. Dann war der große Tag der Sprengung. Es waren auch echt Fische drin. Und dann gab es ja im Team diese Vegetarier, die dann unbedingt wollten, dass kein Fisch stirbt.


Paula Beer: Da waren echte Fische drin? Nein. Die waren doch aus Plastik, oder?


Christian Petzold: Nein, die waren echt. Die haben wir gesprengt! Das stimmt! Die waren da drin. Und die Gummifische sind später auf dem Boden! Nach der Sprenung sind die Praktikanten sofort hin und haben die Fische gerettet. Dann kam das „okay“. Alle haben überlebt. Dann war Ruhe im Team. Und dann konnten wir über das künstlerische wieder reden. Wir haben diese Fische nachgebaut, die bestanden aus so einer Zuckermasse, so ein Gele. Da kostet jeder Fisch 250 Euro. Und dann wurden die mit Nylonfäden animiert. 

Publikum lacht. 

Ja, das stimmt wirklich alles. Es war alles echt. Es war kein Computer. Da saßen wir dann draussen und drinnen wurden die 3 Kameras aktiviert und dieses Ding flog auseinander. Dann kamen wir rein und haben zwei Tage aufgeräumt. Später haben wir noch mal eine Schräge gebaut, wo diese Wassermassen und die Glassplitter auf die Kamera zukommen. Aber die waren aus Gummi und Silikon, weil es ja sonst jemanden hätte verletzen können. Ich persönlich finde Special Effect-Tage langweilig. Alle sind dann immer so aufgeregt, wie bei einer Mondlandung. Es klappt oder es klappt nicht. Und wenn es nicht klappt, dann machen wir es noch mal. Das ist alles Planung. Es ist viel wichtiger, wo die beiden sich küssen. Wenn das wahrhaftig ist, dann interessiert mich das mehr. Bei F/X sind alle immer so aufgeregt und alles überschlägt sich. Das ganze Team steht dann da. Danach werden die Typen, die das ihr ganzes Leben für „Cobra“ und „Autobahhnpolizei“ machen beglück-wünscht und umarmt. Interessiert mich alles nicht. Ja, ist doch wahr. 

Publikum lacht und klatscht.


Matthias Elwardt: Wie ist es denn Unterwasser zu spielen? Und wie ist es unter Wasser Regie zu führen? Hatten Paula und Franz ein Knopf im Ohr? Du kannst ja gar nicht gut kommunizieren, oder?


Christian Petzold: Nein, das ist eine logistische Arbeit, die 4-5 Wochen Vorbereitung bedeutet. Im Wasser sind Lautsprechersysteme. Da darf natürlich nur einer Reden und das war auch ein Problem, denn jeder will ja etwas reden. Da sagt der Beleuchter, „ja dreh mal nach links“ dann der Kameramann „Schärfe“ ruft und so weiter. Das macht ja die Schauspieler verrückt, deshalb war es verboten zu sprechen. Nur wenn eine Szene fertig war, haben wir vorher Storyboards gezeichnet, damit klar war, was die beiden machen. Für mich begann dann die allerschwerste Zeit. Special Effect ist schon scheiße, aber oben am Beckenrand zu stehen und da unten sind die „Koi-Karpfen-Schauspieler“ und ich kann nichts machen. Sie können dann machen, was sie wollen. Es gibt keine Regie. Und mit diesem Kontrollverlust musste ich klar kommen. Und das hat mir, glaube ich, Spass gemacht, dieser Kontrollverlust. Und den beiden auch.


Mathias Elwardt: Wie habt ihr das gemacht? Hast du vorher mit Franz geprobt, bevor er ins Wasser ging? Oder habt ihr Absprachen getroffen? Wie sind die Szenen entstanden zwischen Euch?


Paula Beer: Wir hatten zur Vorbereitung Tauchtraining und ich habe auch schon mal unter Wasser gedreht. Ich fand das damals aber auch sehr aufregend, weil das auch mit der Vorbereitung recht schnell ging. Da hab ich dann auch meinen Tauchschein gemacht. Das war jetzt total schön, weil wir zur Vorbereitung unter Wasser noch mal ein paar Tage hatten. Die Unterwasser-Tage waren auch tatsächlich unsere ersten Drehtage. Es waren 40 Grad in Berlin. Wir hatten in Babelsberg dieses 5 Meter mal 5 Meter Becken aufgebaut. Es war wie ein Klotz in dieser Halle. Da ging es in unsere Unterwasserwelt, wo alles dann drin aufgebaut war und das war dann auch wie ein Unterwasserspielplatz. Das was man im Film sieht, das haben wir dann auch in echt gesehen. Außer die schwarzen Wände, wo dann noch ein paar Kreuze sind, damit dort der ganze See reingebastelt werden kann. Das hat wahnsinnig Spass gemacht, wirklich beschreiben kann man das ja nicht. Wir wussten nur, hier geht es rein, da geht es runter. Und weil Christian nicht mit im Wasser war, ist es dann auch ein anderes Gefühl, wenn man dann selbst unter Wasser merkt, ich kann mich gar nicht so schnell bewegen, weil das Wasser einfach mehr Widerstand hat. Wenn man einatmet, steigt man nach oben und wenn man dann unterschiedlich atmet, dann geht der ein runter, während der andere hoch geht. Aber man soll eigentlich nebeneinander agieren. Die Aufnahme hat es etwas gedauert, bis diese Tanzchoreographie funktioniert hat. Mir hat das wahnsinnig Spass gemacht, weil es alles ewig dauert. Da kommt so eine Anweisung und du fragst dich unter Wasser: „Was?“ Und über Wasser fragen sie sich: „Warum machen die das nicht?“ Dann ist plötzlich eine Unterwasserpflanze im Weg. Die muss wieder bewegt werden und bis die dann wieder still steht, dauert es auch noch mal 10 Minuten. So war das alles sehr langsam, sehr entschleunigt und dadurch wahnsinnig schön und entspannt.


Petzold: Das hatte sie offensichtlich. Ich hatte auch Storyboards, die ich sonst nicht mache. Ich sage den Schauspielern nicht, wo sie sich hinstellen sollen und deute auf das Kreuz und sage: „Da ist schönes Licht“. Sondern die Kameraeinstellungen werden nach den Proben festgelegt, von dem ausgehend, was die Schauspieler gemacht haben. Der Raum, den sie geschaffen haben, wird genutzt. Aber unter Wasser geht das ja nicht. Aber ich wollte gerne, das sie vorher das Storyboard sehen und vorher wissen was wir machen. Unsere Zeichnerin, die sonst Graphik Novels macht, hat Bilder vorher erschaffen, die hatten auch ihren Zauber. Zum Beispiel das Motiv als Paula auf der Wasseroberfläche treibt oder mit dem Wels in der Höhle verschwindet. Das wurde alles vorher gezeichnet, damit den Schauspielern auch klar wird, wie zauberhaft das alles aussehen könnte. Damit wird das nicht ausschließlich eine technische Geschichte.


Matthias Elwardt: Wann und wie bist du eigentlich über „Undine“ gestolpert? Was war der Auslöser für dieses Märchen? Wie ist es überhaupt zu einem Märchen gekommen?


Petzold: Ich habe früher meinen Kindern alle Märchen vorgelesen. Und da musste man immer etwas voraus lesen, weil Märchen manchmal äußerst brutal sind. Mit dem einen Auge liest man dann schon mal da hin und kann das dann etwas variieren, wenn denn da „der weisse Leib durchtrennt wird“ oder wegen dem Ring der Finger einer jungen Frau abgetrennt wird. Das muss man ja nicht einem dreijährigen Mädchen vorlesen. Weil man ja selbst irgendwann wieder Schlaf finden möchte. Da habe ich sehr viele Märchen gelesen und „Undine“ kannte ich als Märchen, interessierte mich aber nicht so richtig. Ich bin nicht so ein Sirenen- oder Wassernymphen-Fan. Ich habe dann aber das Buch von Ingeborg Bachmann „Undine geht“ gelesen und habe gedacht, das ist ja mal etwas Neues! Eine Frau lässt die Muse der Männer sprechen und sagt: „Ich will aus euren Projektionen raus. Aber ich bin aus euren Projektionen geschaffen.“ Ja. Das ist ein Widerspruch, der mich zerreißt. Und diese Zerrissenheit ist eine Position, wo das Kino auch seine Geschichten findet. Und das hat mich interessiert. Und dann habe ich Paula kennengelernt und gewusst, die ist frech und selbstbestimmt. Das hat mir sehr gefallen.


Matthias Elwardt: War für dich schon immer klar, dass du die Geschichte so ausgehen lässt?


Petzold: Ja, das war für mich immer schon so klar, stand auch im Buch so drin. Wie es ausgeht weiss ich, aber ich weiss nicht, wie es aussieht. Das gewinnt man ja eigentlich durch die Arbeit. Wir haben ja schnell chronologisch geschrieben, wir haben nur den Schluss in Berlin, weil Franz noch zu einem Dreh musste, mit Paula alleine gedreht. Ich wusste, dass der Schluss „Undine“ gehört und der Anfang auch. Es ist ja ein Film mit ihr und es musste mit einem Blick von ihr aufhören. Aber ich wusste nicht, wie er aussieht. Als wir dann dort an dieser Talsperre waren, da wusste ich, dass die beiden da oben auf dieser schönen Staumauer entlanggehen. Die beiden, die jetzt Vater, Mutter und Kind werden und Undine, die zurückbleibt und langsam wieder in den Fluten versinkt.


Matthias Elwardt: Paula. Wie ist das, wenn man zwei so große Festivals gewinnt? Verändert das die Arbeit, verändert das die Angebote, was macht das mit einem, wenn man das fragen darf?


Paula Beer: Weiß ich nicht so genau. Beide mal habe ich das als sehr absurd, aber auch sehr schön und als riesengroße Ehrung erlebt. Bei so einem Festival habe ich das Gefühl, ein Teil dieses Festivals zu werden. Dort in Betracht zu kommen, dafür musst du ja auch noch im Wettbewerb sein. Und dann auch noch von einer internationalen Jury ausgewählt zu werden, finde ich eine enorme Anerkennung. Aber was das dann bewirkt oder bringt sieht man dann erst ein paar Jahre später.


Matthias Elwardt: Bei „Franz“ war es ja noch etwas anderes, weil es eine französische Produktion war, wo du ja auch noch französisch gesprochen hast. Sind die Schuhe dann so groß, wie die von Romy Schneider? Oder wie wird man da in Frankreich wahrgenommen?


Paula Beer: Dieser Vergleich zu Romy Schneider wurde öfter mal gemacht, aber ich hatte das Gefühl, dass Vergleiche eher dazu gemacht werden, um es jemanden näher zu bringen. Oder wenn jemand durch jemanden mit einem Gefühl näher gebracht wird, so nach dem Motto: „Ach, das fühlt sich so an, wie damals bei...“ Daher dachte ich, ach, das ist ja total schön, weil ich Romy Schneider als eine sehr tolle Schauspielerin sehe. Und ich erlebe Auszeichnungen nicht als Druck, ich hab sie mir ja nicht selbst ausgesucht. Und wenn die Leute das in mir sehen und sie sich täuschen, ist es ja ihr Fehler und nicht meiner.


Petzold: Als wir in Frankreich waren, wo ich mich mit Corona infiziert hatte, da waren wir in einer Pizzeria. Und da saß am Nebentisch Catherine Deneuve. Die hatte 4 Monate zuvor zwei Schlaganfälle gehabt. Die rauchte und trank Rosé und die Leute in der Pizzeria waren froh, dass es ihr gut ging, belästigten sie nicht. Und da dachte ich daran, wie Franzosen mit ihren Schauspielern umgehen, also Isabelle Hubert oder eben früher Romy Schneider. Die waren Teil der Kultur, die gehörten ihnen und man liess sie in Ruhe. Und da ist irgendwas, was mir daran gefällt in diesem Umgang. Als Picolli starb, kamen 30.000 Menschen zur Beerdigung. Und gleichzeitig konnte der immer durch Paris gehen. „Der gehört zu uns, der ist in Ordnung.“ Und das ist so etwas, das wünsche ich mir auch, dass man hier auch so mit den Schauspielern umgeht, dass die nach zwei Schlaganfällen mit Rosé und Zigarette im Cafe sitzen können und alle sagen: „Hey gut, dass du wieder da bist. Ja, das ist für mich ein Gefühl von Kultur.

Elwardt: War das immer die Idee, dass Undine eine Stadtführerin ist? Auch mit der Geschichte von Berlin und überhaupt von einer Stadt? Deine Filme haben ja auch immer ganz viel Architektur, Räume und Städte als Thema.

Petzold: Ganz ursprünglich sollte es mal ein Kurzfilm sein. Und es spielte in Düsseldorf am Rhein. Und da wäre sie eine Museumsführerin gewesen, mit einer jungen Gruppe Studenten oder Schüler. Eine Installation von SteveMcQueen, der ja nachher Filmemacher geworden ist, heißt „Deep Empty“, glaube ich. Da gibt es eine Fahrt mit Robby Müller als Kameramann 300m tief in die südafrikanischen Silberminen und wo man denkt, dass ist die Hölle. Wo diese schwarzen Arbeiter auch heruntergekarrt werden. Da filmte der das einfach in Echtzeit, wie das da runter geht. Und jede 100m kommt da eine Neonröhre und blitzt auf. Man sieht diese Gesichter der Arbeiter. Und nachher werden die oben abgespült und etwas untersucht, ob die da vielleicht irgendetwas im Arsch haben und da rausschmuggeln wollen. Das ist ein unfassbar toller Film. Das sollte sie mal ursprünglich erklären im Kurzfilm. Dann habe ich durch meinen Freund Christoph Hochhäusler, der ja eigentlich Architekt ist, diese Ausstellung kennengelernt und einen Stadthistoriker, Bernd Heitmann, der auch die Texte für Paula geschrieben hat. Der hat mir eben Berlin erklärt. Berlin ist im Gegensatz zu Hamburg sehr... wie soll ich sagen... Fatih Akin sagt ja immer Hamburg ist geil! In Berlin sagt das keiner! Wenn man nach Köln kommt, Köln ist geil! Wenn man nach Frankfurt kommt…geile Stadt.Und ich fühl mich in Berlin einfach wohl, weil es da keiner sagt, weil Berlin ja nicht geil ist! Berlin muss man sich erarbeiten um es schön zu finden. Ja! Das bekommt man nicht in die Wiege gelegt. Und in der Ausstellung mit den Stadtmodellen muss man sich die Schönheit der Stadt Berlin erarbeiten, weil Berlin so nicht schön ist. Irgendwie unfreundlich und das Beste, was ein Berliner sagen kann ist „Kannste ja nich meckern!“ Also das ist dann schon höchste Stufe. Dabei mag ich Städte, in die man sich hineinarbeiten muss. Und ich mag Figuren oder Charaktere die mir bei dieser Arbeit helfen.Und als Paula diese Vorträge gehalten hat, haben wir keine Komparsen genommen, die sonst immer beim Berliner Tatort für 60 Euro gebucht werden und die ganze Zeit da mit einem Käsebrötchen herumstehen, sondern das waren richtige Studenten, die auch Ahnung haben von diesem Metier. Und unser Ziel war, dass Paula einen Vortrag hält, der auch einiges von ihr abverlangt. Das merkt man auch an diesen Szenen, dass dieses Publikum auch wirklich zuhört. Und wir waren alle, auch hinter der Kamera sehr begeistert. Wir hätten diesen Vortrag sehr gerne noch viel länger gehört. Aber dann schreiten wir hinaus in die Welt des Mythos.


Elwardt: Danke! Sie sind in guter Tradition eingeladen, sich an diesem Gespräch zu beteiligen. Wenn sie eine Frage haben, komme ich sehr gerne mit dem Mikrophon zu ihnen an ihren Platz.















Sonntag, 16. April 2023

LARS EIDINGER „Persischstunden“

LARS EIDINGER "Persischstunden" im Zeise Kino Hamburg am 25. September 2020.

Lars Eidinger am 25.9.20 im Zeise Kino Hamburg. Foto: Dennis Albrecht

Matthias Elwardt: Meine Damen und Herren, the one and only! Lars Eidinger. (Applaus)  Lars, wie bereit man sich auf solch eine Rolle vor, in der man eine Sprache spricht, die es nicht gibt?

Eidinger: Ja, es war schon ein Vorteil, dass der Nahuel die Rolle spielt und nicht ich. Der ist vielen Leuten schon ein Begriff. Ich hab ihn jetzt in einem anderen Film gesehen, „120BPM“, ein französischer Film, ganz toll. Dann habe ich herausgefunden, dass er eigentlich Argentinier ist, der französisch für den Film gelernt hat. Und er spricht auch kein Wort Deutsch. Der hat einfach eine Begabung, der ist phonetisch einfach so überzeugend. Ich wollte in den Drehpausen immer mit ihm Deutsch reden, aber das ging gar nicht. Der hat mir auch diese fiktive Sprache für diesen Film beigebracht. Die gibt es zwar gar nicht, aber es gibt trotzdem eine Logik da drin. Jedes Wort hat tatsächlich eine Bedeutung. Es gibt feststehende Definitionen. Ich habe ihn immer mal gefragt, wie er es sagen würde. Im Hotel haben wir uns Textnachrichten geschickt. Er hat mich dann oft gefragt, wie ich das Deutsche aussprechen würde. Ein Tag, bevor wir das gedreht haben, hat er mir dann seine deutsche Version geschickt und die klang dann oft nicht gut. Dann hab ich es ihm draufgesprochen und wie ich es als Deutscher sprechen würde und nur 10 Sekunden kam dann seine Antwort und dann klang es perfekt. Der hat echt so eine überirdische gute Begabung.

Elwardt: Das heißt, sein Deutsch ist nicht nachsynchronisiert? Das ist der originale Drehton und er hat es einfach nur phonetisch gelernt?

Eidinger: Ja. Verrückt. 

Elwardt: Respekt. 

Eidinger: Nur ich bin komplett synchronisiert. (Gelächter)

Elwardt: Wie ist die Entstehung des Stoffes abgelaufen? Es gab da so eine Geschichte von Wolfgang Kohlhasse. Oder hat die damit nichts zu tun? Zweite Frage: Das war mit einem russischen Team, in Russland gedreht, wenn man dem Abspann glauben darf. Wir kennen nicht so wahnsinnig viele russische Filme, die sich mit der NS-Zeit so auseinandersetzen und erforschen. Wie war das denn, so eine NS-Holocaust-Geschichte zu drehen? 

Eidinger: Jetzt habe ich schon die erste Frage vergessen. Idee der Geschichte? Kohlhaase? Ja, hab es selbst nur so abgespeichert, dass die Russen dieses Drehbuch geschrieben haben. Der Drehbuchautor lebt in Berlin. Den haben wir vor dem ersten Drehtag getroffen und der hat überhaupt nichts von Kohlhase erzählt. Ich glaube, er kannte die Kurzgeschichte gar nicht und es war ihm gar nicht bewusst, dass sich sein Buch auf Kohlhase aufbaute. Er hatte die Geschichte irgendwann mal gehört. Vielleicht hat er sich das auch eingebildet, er hätte sie sich ausgedacht. Das ist ja manchmal so. Ist jetzt nicht bösartig gemeint. Am Anfang steht auch: „Diese Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit“. Dabei soll Kohlhase die Geschichte selbst irgendwann irgendwo aufgeschnappt haben. Ehrlich gesagt, mich stört es dann immer, wenn am Anfang so etwas steht. Ich glaube nicht, dass man dann bei anderen Filmen schreibt: „Diese Geschichte ist komplett ausgedacht“. Ich kenne jedenfalls diese Kohlhase-Geschichte gar nicht, es war nicht relevant. Verrückter Weise haben wir das alles erst danach erfahren, dass es da etwas gibt und deshalb taucht der Vorpsann jetzt immer mal wieder auf. 

Und die andere Frage: Ja, ich hab ja schon mal in Russland gedreht. Das ist schon immer nicht so einfach. Ich weiß, wir als Hauptdarsteller haben es total genossen, aber die ganzen anderen Schauspieler, die haben ziemlich gelitten. Die fanden das ziemlich scheiße da. Es war einfach kalt und alle haben nur russisch gesprochen. Keiner am Set hat Deutsch gesprochen, die Set-Sprache war eigentlich Englisch, aber nur zwischen uns und dem Regisseur. Der Rest vom Team hat russisch gesprochen und das fühlt sich immer komisch an. Ich habe gerade in Paris gedreht und da haben alle natürlich nur Französisch gesprochen. Irgendwann fühlt man sich dann nicht so richtig wohl. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass das so ein Dreh war, wo man sich in irgendeiner Form geborgen fühlte. Es war eher die Thematik, die interessant war. Es war in Weißrussland und wir kennen ja alle die Bilder von dem, was da gerade passiert. Wir haben da in einem Hotel gewohnt und ich hatte das Gefühl, dass wir die ersten Gäste waren. Das war alles noch ganz neu, mit einer Mauer drumherum. Wir durften dieses Areal nicht verlassen. Es hieß immer, es wäre viel zu gefährlich. Einmal habe ich mich von unserem Fahrer an einem freien Tag in die Stadt fahren lassen und bin da herumgelaufen. Ich habe schon gemerkt, dass man da sehr schnell auffällt und hab dann am nächsten Tag erfahren, dass mein Fahrer mich auf Schritt und Tritt begleitet hatte. Ich war dann doch nie allein unterwegs. 4 Stunden ist der mir hinterher gelaufen und hat gesagt, dass ich keine betrunkenen Russen von hinten filmen kann. Das gäbe Ärger. Die haben sich einfach große Sorgen gemacht. 

Der Regisseur hatte schon eine große Sensibilität für dieses Thema, weil er auch selber Jude ist. Der ist in Russland geboren, aber lebt mittlerweile in Kanada. Diese Sensibilität hatten aber nicht alle. Ich musste vorhin an einen Moment denken, wo die alle da auf diesen Platz getrieben und ihnen die Sterne aufgenäht werden. Da gab es dann einen von den Mitarbeitern des russischen Teams, der hatte sich auf seine Daunenjacke einen Judenstern genäht. Der fand das total witzig. Und dann bin ich hingegangen und hab gefragt, ob er den wieder abmachen kann, ich fand das nicht witzig. 

Elwardt: Mir ist im Abspann der Text aufgefallen: „Das Team dankt Roman Abramovic. Ist das dieser reiche Russe, der auch im Fußballgeschäft ist?

Eidinger: Weiß ich nicht. Keine Ahnung. Kann aber gut sein. Denn ich hab noch nie so viel Geld verdient.

Elwardt: Wie hat denn der Regisseur mit Euch kommuniziert? Er sprach ja kein Deutsch, hat aber mit deutschen Schauspielern gedreht. Hatte er noch einen Dolmetscher? Wie wusste er, ob ihr das richtig macht? 

Eidinger: Eine deutsche Mitarbeiterin hat Script gemacht, sie hat darauf geachtet, was gesagt wurde. Aber oft war es echt so, wie bei Soap Operas. Weil die da so wenig Zeit haben, nehmen die dann immer den erste Take. Der wird dann einfach so genommen. Wenn sich jemand versprochen hat, war es scheißegal. Die haben einfach keine Zeit, um das noch mal zu machen. Wenn aber der Schauspieler selber den Anspruch hat und es noch mal machen will, dann schmeißt er sich im Laufe des Takes auf den Boden, damit man den Take gar nicht benutzen kann. Er weiß, wenn er ihn zu Ende spielt, wird er auch genommen. Bei uns war das auch oft so, dass wir sagten:„Nein, warte mal, ich hab mich hier total versprochen.“ Dann hat man es noch mal gemacht. Es ist ja zumindest von mir so ein Ehrgeiz, so zu spielen, dass man auch einen Versprecher nehmen kann. Warum soll sich eine Figur im Film nicht versprechen? Also, ich verspreche mich ja auch im echten Leben manchmal. Aber ich finde es echt lustig, weil ich eben ein paar Szenen gesehen habe, wo ich mich deutlich verspreche. Die sind aber im Film geblieben, weil das halt keiner gemerkt hat. Aber es hat ja was.

Elwardt: Wie hast du dich denn auf die Rolle vorbereitet? Kann man sich auf so eine Rolle als SS-Offizier vorbereiten? Verändert das Kostüm schon einiges? 

Eidinger: Kann ja sein, dass sich einige Kollegen viel vorbereiten, aber ich bereite mich nie vor! Ich gehe einfach nur hin und habe den Text gelernt. Was soll ich mich denn vorbereiten? Den Hitlergruß oder so? Also, ich fand, da kann man nichts üben. Ich wüßte nichts… 

Elwardt: Ja, es gibt Leute, die überlegen sich eine ganze Biographie.

Eidinger: Ja, ich kenn solche Leute.  Nein , es ist ja eine berechtigte Frage. Ich glaube, es ist auch eine Entwicklung. Das klingt jetzt so kokett, aber so meine ich das gar nicht. Meine Erfahrung ist mittlerweile, dass es nichts bringt. Ich möchte eigentlich wegkommen von dem gestalterischen Moment. Es ist mir so beigebracht worden und es war auch gut so, diesen Weg zu gehen. Ich glaube nicht mehr daran, dass ich im Hotelzimmer überlegen kann, was man wie wann macht und mit welchem Gesicht. Ich kann es wirklich nur in diesem Moment entscheiden. Ich bin dann gut, wenn ich es passieren lasse und und wenn ich mich nur auf den Moment einlasse. Und verrückter Weise, wenn es mir gelingt, dann gibt es nicht, was ich nicht machen kann. Dann gibt es keine Steigerung, dann wunder ich mich selber, teilweise darüber, was mein Körper macht. Das ist aber nur eine Reaktion auf die Konzentration, auf den Moment. Das andere ist total limitiert, die Gestaltungen sind total limitiert. Von dem was ich ausdrücken kann, da gibt es ja Grenzen, aber in dem Moment, wo ich mich öffne und sage, ich lasse es zu, dann gibt es keine Grenzen. 

Da wird man ja leicht falsch verstanden, wenn es davon lebt, dass es genial ist, aber dann passiert etwas, was genial ist. Das hat aber nichts mit mir zu tun. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich genial bin! Aber das, was da passiert ist genial. Und das hat etwas für mich mit Transzendenz zu tun, etwas überirdisches. Es passiert etwas, was man gar nicht steuern kann. Je länger ich in diesem Beruf bin, desto mehr vertraue ich darauf. Ich sehe mich dann tatsächlich spielen. Aber da habe ich jetzt nicht im Hotelzimmer gedacht: „Oh, wie spiele ich das denn morgen?“ Das würde auch nicht gehen. Ich versuche mich einfach nur auf diese Figur einzulassen und auf die Situation. Und keine Ahnung warum, aber dann klingt die Stimme so. Ich könnte sie gar nicht so verstellen. Es ist wirklich nicht so, wie man denkt, Schauspieler würden Gesichter vor dem Spiegel üben. Ich weiß gar nicht, was mein Gesicht da macht. 

Erwaldt: Gibt es denn in dem Film einen besonderen Moment? Vielleicht eine Szene mit einem besonderen Glücksfall, wo du das gefühlt hast, was du gerade beschrieben hast?


Lars Eidinger links und Matthias Elwardt im Gespräch. Foto: Dennis Albrecht 

Eidinger: Ja, eigentlich in dieser Szene, wo wir diese Fantasie-Sprache sprechen. Nicht, das Gedicht, sondern wo er sagt: „Du hast jetzt so viele Worte geredet, lasst uns sprechen." Und dann fange ich an, von meiner Familie zu erzählen. Für mich war das so eine Schlüsselszene, weil ich da gut über die Sprache funktioniere, wie bei Shakespare, wo man eigentlich alles über die Sprache geht. Bei Shakespeare muss man sich auch nicht kitschig verstellen. Wenn man es auf der Bühne schafft, wie z.B. bei "Romeo und Julia", da gibt es einen tollen Satz von ihr: „Ich vertraue mir selbst nicht mehr." Da kann man sich darauf verlassen, dass der Körper dann mit einem was macht. Das kann ich nicht spielen, das kann ich nicht darstellen. Aber ich kann es sozusagen erleben. Aber da ist trotzdem die Sprache der Impact. Und wenn ich jetzt sage: „Ich liebe dich. Ich bin alleine, ich habe Angst…“ Wenn ich das dann auf Englisch sage oder auf Französisch, hat die Sprache einen Impact. Wenn ich dann noch eine Fantasiesprache spreche, macht die gar nichts mit mir. Ich muss mir also etwas konstruieren, was da drunter liegt, was mich dann bewegt. Und das finde ich wahnsinnig kompliziert.Weil ich ja trotzdem auch die Ebene hatte, scheiße Lars, hoffentlich fällt dir der Text in dieser ersten Ebene ein. Und die muss man erst einmal bewältigen. Und dann muss man auch noch das andere alles zulassen. Als wir das gemacht haben, hatte ich das Gefühl, das ist uns sehr gut gelungen. Das war dann ein toller Moment.


Elwardt: Sie sind herzlich eingeladen, sich an dem Gespräch zu beteiligen. Ich habe auch ein Tuch dabei, um das Funkmikro abzuwischen. Dahinten ist eine Frage, ich komme mal zu ihnen. 

Zuschauer: Ich wollte mal fragen, ob das mit einem seelisch etwas macht, eine so zu verurteilende Rolle zu spielen? 


Eidinger: Ganz am Anfang hatte ich so gedacht, ich bin ein deutscher Schauspieler, ich will nicht immer die Nazis spielen. Das sagen die meisten ja in den vielen Interviews. Ich sage aber, das sind die beste Rollen! Nazis sind doch super zu spielen. Je öfters ich es gemacht habe, desto mehr merke ich einfach, dass man sich doch so immer an seinem eigenen Trauma abarbeitet. Das ist sehr anstrengend, dem immer wieder zu begegnen. Ich habe in naher Zukunft jetzt alles abgesagt, was mit der Nazi-Zeit zu tun hat, weil das ist dann über aller Gebühren anstrengend. Das Ding ist ja auch, dass ich immer so aufgewachsen bin, dass ich dachte,, das war eine ganz andere Zeit. Es war alles nur schwarz-weiss. Es ist so ewig weit weg. Dann ist mir aber irgendwann bewusst geworden, dass dieser Mann, den ich mich immer da im Fernsehsessel erinnere, der aussah wie ein Skelett, der nie etwas gesagt hat, Kette geraucht hat, mein Opa, dass der ja im Krieg gekämpft hat. Der, dem ich noch begegnet bin, als ich ein kleiner Junge war, der hat im Krieg als Soldat gekämpft. Mein Vater, ist im Krieg geboren. Ich bin durch meinen Vater unmittelbar erzogen, der wiederum von seinem Vater stark beeinflusst war, das prägt mich natürlich als Mensch. Ich habe das Gefühl, sehr stark, davon geprägt zu sein. Die Art, wie mein Vater mich anfasst und mit dem, was der dann früher erlebt hat. Das finde ich dann schon schwierig, zu sagen, ich versetze mich jetzt in diese Zeit und spiele das sozusagen nach, das hätte ja schon fast so einen therapeutischen Aspekt. Was macht das jetzt, wenn ich dieses Kostüm anziehe, diese Uniform? Dann fand ich wichtig, dass man sich traut den an sich ranzulassen, so als Spieler. Dass ich das Gefühl habe, ich weiß, wie ich mich jetzt in dieser Situation verhalten müsste. Das ist ja kein James Bond-Bösewicht, also keine ausgedachte Figur. Nur weil er einen russischen Dialekt hat, muss er der böse sein, also so sind wir ja noch groß geworden. Das fällt mir gerade ein, weil ich gerade die TENET gesehen habe und dachte mir: Kann man denn 2020 zeigen, dass der Bösewicht einen ukrainischen Dialekt besitzt? Hat Kenneth Branagh den Schuss da nicht gehört? Das habe ich zum letzten Mal in den 70er bei James Bond gesehen. Das wäre also sozusagen der Anspruch, dass man so wie ich da meinen Großvater sehe, ich mich da auch sehen kann.  Und mich in der Kostümierung auch zur Disposition stellen kann und sage kann, dass bin jetzt ich im zweiten Weltkrieg und das mache ich jetzt.  

Zuschauer: Also, ich fand den Film die ganze Zeit spannend, und sehr berührend. Ich habe überlegt, ob es noch eindrucksvoller gewesen wäre, wenn man den Film in schwarz-weiss gedreht hätte. Haben sie sich mal darüber Gedanken gemacht oder wäre es dann zu sehr Arthaus geworden? Oder ob man den jetzt farblich gemacht hat um ihn dann besser in die USA zu verkaufen? 

Eidinger: Nein, ich glaube, dass ist gar kein Kriterium, ich glaube eher umgekehrt, dass es in der schwarz-weißen Variante eine Form der Ästhetik wäre. Ich kann mich an die ersten Farbaufnahmen erinnern, die ich von Adolf Hitler gesehen habe und stutzte. Hitler gibt es in echt? Ich finde das monströs, das in Farbe zu zeigen. Ich glaube, so hält man das eher von sich weg. Es hätte schon schöner ausgesehen, vielleicht wäre es glaubhafter gewesen, weil man es in die Zeit besser hätte Vororten können. Aber ich glaube nicht, dass es eine Überlegung war, dass man es dadurch besser nach Hollywood verkaufen könnte. Im schlechteste Falle dreht ja Hollywood den Film einfach noch mal nach… mit richtigen Schauspielern… (Gelächter) 

Ja, danke noch mal, dass ihr so ausdauernd seid. Es ist ja so schlecht besucht…

Elwardt: Es ist ausverkauft, Lars! 

Eidinger: Ja, ich weiß.

Wegen der weltweiten Covid19 Pandemie 2020-2023 konnten die Plätze nur im Schachbrettemuster und mit Abstand verkauft werden. Somit konnte der Saal nur zur Hälfte ausgelastet werden udn sah sehr leer aus.


Zuschauerin: Ein Gedanke, der mir durch den Kopf ging, war ein Zitat: „Sprache schafft Wirklichkeit“. Das Konzept und die Dominanz der Sprache ist also angesprochen. Ich bin selbst Psychologin und arbeite viel mit Sprache. Was bedeutet Sprache für dich und welche Realitäten gibt es durch Sprache im Film?

Eidinger: Es ist tatsächlich so, dass gerade bei Shakespeare alles nur über die Sprache funktioniert. Und da muss ich mich auch nicht vorbereiten, ich gehe auf die Bühne und starte im Nullzustand. Im englischen ist das noch viel krasser. Ich glaube auch, dass man im deutschen bis zu 80 Prozent verliert, was Shakespeare ausmacht. Dieser Rhythmus der Sprache, die Musikalität, das verliert man ja alles, man verliert ja sogar den Vers. Aber es ist wirklich faszinierend, dass da wirklich nur die Sprache die Impulse gibt. Das aufregende in der Musik ist es, wenn es jetzt keine gesungenen Texte sind, z.B. ein Klavierstück, dass es etwas mit mir macht, was Sprache nicht kann. Die Sprache bleibt immer rational. Die Musik provoziert etwas irrationales und das ist manchmal viel größer als eine Sprache. Mir wurde das immer so erklärt, dass z.B. beim Musical immer dann setzt die Musik einsetzt, wenn die Sprache versagt. Das finde ich eigentlich toll, da hab ich dann doch das Gefühl, dass Sprache irgendwie limitiert ist. Der Film führt das ja auch über die Sprache da ad absurdum, dass man Leute für Sprache, Religion oder Herkunft verurteilt. Es ist alles von Menschen gemacht. Es ist absurd, jemanden dafür zu verurteilen. Ich finde es z.B. auch interessant, dass die Stimme sich immer verändert, wenn man eine andere Sprache spricht. Wenn ich einen englischen Film drehe und ich muss den dann in Deutsch nachsynchronisieren, dann spreche ich viel höher auf Deutsch. Dann hab ich immer das Gefühl, der Charakter hat doch eine viel tiefere Stimme. Dann kann ich das gar nicht im Deutschen. Dann ist das plötzlich eine ganz andere Figur. Aber vielleicht sollt eman einen Linguisten fragen, ein Schauspieler kann da ja nur ausführen. Ich merke also gerade, ich weiß eigentlich darüber nichts. Ich kann nur herumraten. 

Zuschauer: Es gab eine Aussage im Hamburger Abendblatt über Lars von Trier. Würden sie gerne mal mit ihm drehen?

Eidinger: Hamburger Abendblatt? Das ist diese Schmierzeitung, oder ? (Gelächter)

Also in dieser Zeitung wurde gefragt, wie weit man gehen würde, um bei Lars von Trier eine Rolle zu bekommen. Ich finde, Lars von Trier ist der Größte von allen überhaupt. Wenn der mir jetzt sagen würde, Lars, ich habe die Idee, dass du dir in der letzten Szene den Arm abhakst... dann würde ich zumindest darüber nachdenken. Ich glaube sowieso, ich habe da einen großen Faibel, Sachen vor der Kamera zu machen oder auf der Bühne, wo die Grenze zwischen dem Realen und dem Fiktiven verschwimmt. Weil ich inzwischen an dem Punkt bin , wo ich gemerkt habe, dass es da gar keinen Unterschied gibt. Ich habe das nie verstanden, wenn Kollegen gesagt haben: "Ihr Beruf heisst: Lügen." Ich würde eher sagen, mein Beruft heisst: "Die Wahrheit sagen". Deswegen finde ich so Moment auf der Bühne oder beim Film spannend, wo man sagt: "Das kann jetzt aber gar nicht gespielt sein." Das ist so verblüffend, das ist so wie bei einer Erektion. Das kann ja keiner spielen. Ich habe mal MacBeth gespielt, das war vor 22 Jahren. Da gab es eine Probe, wo eine Schauspieler beim Wühlen im Schlamm mit einem Kollegen eine Erektion bekommen hat. Da kam der dann von der Bühne und es war ihm ausgesprochen peinlich. Ich habe zu ihm gesagt: "Das war das Schönste, was ich je gesehen habe!" Was gibt es denn Tolleres, als so etwas? Auf der Bühne sterben, also so ein Snuff-Theater, das ist ja das höchste der Gefühle! Da kann man ja dann nicht sagen: "Ja, das hat der jetzt schlecht gespielt." Tot ist tot. Das finde ich beeindruckend, zu schauen, wie weit kann man gehen. Ein anderer Schauspieler hat sich bei einer Inszenierung den Finger abgerissen, mit einer Sektflasche. Die sollte sollte auffliegen und da ist der Finger so mitgegangen... Der hat dann auch weiter gespielt. Oder Thomas Thieme hat bei "Schlachten" mit einer blutenden Hand immer weiter gespielt... Aber ich schweife jetzt von der Frage ab...

Es gibt jedenfalls auch so ein Missverständnis, wenn man sagt, dass man diesen Schauspieler jetzt nicht so interessant findet. Der spielt immer nur sich selbst. Das habe ich früher auch gedacht, aber dann fand ich Schauspieler immer toll, die man nicht wieder erkannt hat. Mittlerweile glaube ich, dass es gar nicht geht. Die schwerste Disziplin ist es, sich selbst zu spielen. Ich glaube, es ist fast unmöglich. Aber das ist mein Ehrgeiz, das zu erreichen. Ich will immer selber anwesend sein. 

MATTHIAS HUES "Karate Tiger 2", "Dark Angel" und "Legion Of The Dead"

PERSÖNLICHES INTERVIEW  mit MATTHIAS HUES  Foto von Dennis Albrecht am Set von „Legion Of The Dead“ Fragen von Christian Witte:  Du hast mit...