Montag, 7. Dezember 2020

SALLY POTTER: "In stürmischen Zeiten"

KINOGESPRÄCH MIT SALLY POTTER
im ABATON KINO in HAMBURG 

am 08.12.2000


Foto: Universal



Moderator: Am heutigen Abend ist Sally Potter zu Gast und zu diesem Anlass haben wir auch eine Reihe ihrer Filme gestartet, die sie gerade eben in der Vorschau sehen konnten. Da ist der Advanced Film „Orlando“ aus dem Jahre 1991 und „Tango Lesson“, der 1997 gestartet war, glaube ich. In „Tango Lesson“ konnte sie Sally Potter auch bereits sehen, sie hat nämlich dort auch die Hauptrolle gespielt. Begrüße sie mit mir Sally Potter! 

Sally Potter kommt vor.

Moderation: Sie können jetzt ihre Fragen stellen, auf englisch oder auf deutsch, ich werde dann übersetzen. Und ich fange als Einstieg mit einer Frage an:  Woher hatte sie ihre Idee für diesen Film?

Potter: Der Impuls war die Musik. Und ich hatte ein Bild vor Augen: Zwei junge Frauen, kreuzen einen Hafen in einem kleinen Boot. Die eine Frau mit dunklen Augen schaut nach hinten, lässt zurück und eine blonde Frau mit blauen Augen schaut nach vorne, schaut in die Zukunft. Und Tatsache ist, dass im Film nie dieses Bild aufhört. Das war auch das erste Bild was aufkam.  Es tut mir wirklich leid, ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich kein Deutsch spreche, ich werde es mehr versuchen. Ich könnte auch französisch sprechen! Aber, bitte sagen sie es mir, wenn ich zu schnell spreche. Oder falsch rede oder so etwas.
            
Zuschauerin: Ich wollte nur "Danke" sagen für diesen wunderschönen Film. Denn ich fand den Film ganz toll, die Charaktere, die Geschichte. Und ich fand es sehr gut, dass sie ihre Hauptdarstellerin nicht als Opfer dargestellt haben, sondern dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand genommen hat.

Potter: Ja, das war ein sehr wichtiger Punkt. Ich wollte nicht einen Film über ein Opfer machen, das ist genau richtig. Ich wollte viel eher einen Film machen über die Freude des Überlebens und um zu erinnern, dass all die dunklen Ereignisse aus dieser Zeit nicht gewonnenen! Leute überlebt! Und um die Erinnerung zu überleben, kann sie den Verstand auf verschiedene Arten verlassen. Ich glaube, es ist wichtig zu zeigen, dass sogar in wirklichen Zeiten, durch die wir gehen, nicht jede in einem Extra-Block gepackt wird. Oder Entscheidungen. Es ist nicht immer notwendig, die Farben des Leidensbildes, aus der Sicht eines Opfers, zu malen. Es tut einen schlechten Dienst. 

Zuschauer:  Ich würde gerne etwas über die Schauspieler sagen. Sie hatten eine sehr starke, bestimmte Europa-Story. Und sie hatten drei wunderbare amerikanische Schauspieler!

Potter: Und einen australischen und einen russischen Schauspieler dazu. Ich finde ein Schauspieler ist ein Schauspieler. Sie haben nicht das zu spielen, was sie sind oder wo sie herkommen. Das ist nicht ihr Job. Und ich finde es wirklich toll, wie diese Schauspieler ihre Parts spielen. Ich spreche nicht nur von den Amerikanern! Sie sind sehr sprachgewandt, sind sehr originelle Akteure, sterben alle Entscheidungen aus ihren Karrieren mit sich bringen und sterben einfach das Recht auf diese Rolle haben.

Moderator: Sie hatten diese Leute schon im Kopf, als sie das Drehbuch geschrieben haben?

Potter: Nein, ich habe versucht, mich davon zu lösen, von den Bildern dieses besonderen Darstellers abhängig zu sein. Als ich schrieb, schrieb ich so, dass die Story dahin gehen kann, wo sie hingehen will. Aber als ich meinen Stift niederlegte, denn ich schreibe nur mit dem Stift, da machte es dann "Wummm", und plötzlich war er da: Johnny Depp. Und "Wummm" Cate Blanchett. Und so waren sie plötzlich in meinem Skript. Unglücklicher Weise war das meine erste und damit beste Wahl und man musste schnell mit ihnen Rücksprache halten, sie über das Skript informieren.

Zuschauer: Da war ein Name im Abspann, eine Erwähnung, zu Ehren von Mary Sheppard. Können Sie zu uns darüber etwas sagen?

Potter: Mary Betty Sheppard? Das ist die Mutter von Christopher Sheppard, dem Produzenten des Films und sie starb, bevor wir noch mit dem Drehen begannen. Ich glaube, sie hätte den Film geliebt, wenn sie ihn noch gesehen hätte.

Zuschauer: Haben sie irgendeine Beziehung herstellen wollen zu unserer heutigen Zeit, als sie das Drehbuch schrieben? Zu den Problemen unserer Zeit? Dass wir uns jeder Zeit entscheiden müssen, welchen Weg wir gehen? Ob wir mit denen gehen, die gerade an der Macht sind oder ob wir unseren eigenen Weg gehen?

Potter: Ich glaube, das ist eine gute Frage. Es ist ein Film, platziert in der Vergangenheit, aber es ist auch wirklich ein Film über das Heute. Und ich glaube, manchmal ist es einfacher zu sehen, was heute passiert, als mit der Metaphorik was heute und morgen passieren wird. Und wir haben eine geringe Distanz zu den paar angesammelten Tatsachen von damals. Wir haben nur ein paar Anhaltspunkte von Dingen, die geschehenen. Aber Verfolgung von Minderheiten, Verfolgung von Zigeunern in England letztes Jahr erst, diese selbe alte Platte spielt sich immer ab, um den Finger auf eine kleine Gruppe zu drücken. In schlechten Zeiten, in Zeiten der Gewalt passiert so etwas häufig. Und um so länger wir es erlauben, das Gruppen als nichtmenschlich dargestellt werden, sterben nicht in der Gesellschaft sind, WIRD es immer möglich sein einen Sündenbock zu finden. Und wenn wir verlangen, dass wir alle zusammen gehören, wird das nicht mehr möglich sein.

Zuschauer: Ist der Film ein Statement? Was ist da mehr? Das Statement oder die Story?

Potter: Jede Story beinhaltet ein Statement. Manche Statements trägst du an deiner Kleidung, wie diese Streifen hier an meinem Kleid. Und manche sind versteckt. Und wenn das Statement das Status Quo repräsentiert oder die Meinung der Mehrheit, kannst du das Statement nicht mehr als solches ansehen. Es ist dann politisch, denn eigentlich ist alles politisch.

Zuschauer: Warum hieß der Film "The Man Who Cried"? Wie kam es zu diesem Titel? Welcher Mann weint denn da nun wirklich?

Potter: Es gab so viel zu Weinen in der historischen Geschichte. Viele Sternen, wurden verfolgt, getrennt von ihren Familien. Da sind viele Tränen in der Retrospektive und diesen Mann, den ich meine, Weint in den Augen einer Frau. Wer jetzt dieser Mann ist? Ob es der Zigeuner war oder ihr Vater oder wer auch immer, ich hab da jedenfalls meine Meinung und sie hoffentlich auch.

Zuschauer: Ich fand einige Szenen sehr schön und schnell schon skurril, ja sogar humorvoll. Einmal wo Dante (John Turturro) in der Kirche zu Gott betet, dass doch bitte die Deutschen gewinnen mögen. Und die augenzwinkernde Szene mit dem Tänzer in der Gipsy-Bar.

Potter: Hat ihn denn jemand erkannt? Es war der Tänzer aus "Tango Lesson". Er tanzt ja einfach göttlich.

Das Publikum bejaht einstimmig.

Potter: So viele haben das gesehen, ist ja schnell schade. Denn so soll das auch mit diesen "komischen" Szenen sein. Es sollen keine großen "Ha,ha!" Auch keine großen Lachszenen sein, sondern es soll etwas unterschwellig dem Ernst etwas herausnehmen. Denn die Facetten machen eine Geschichte aus. Es muss eine kleine Sprache geben. Ja, zu der Szene von Dante in der Kirche, die wollte Turturro unbedingt haben, er liebte diese Szene.

Zuschauer: Noch einmal zu der Musik: Ich fand sie Wunderschön. Welchen Stellenwert geben sie der Musik für ihren Film?

Potter: Ja, Kinomusik ist für mich nicht einfach nur Hintergrund, wie das ja sonst der Fall ist. Es unterstützt eigentlich nur das Bild auf der Leinwand, doch ich wollte schon in die Richtung Musical gehen. Übrigens ist der Komponist ein Argentinier. Ich habe ihn nur durch einen Zufall gefunden. Und zwar gab es ein Gipsy-Konzert und diese Gruppe hatte eine ganz wunderschöne Version von dem Song „Gloomy Sunday“. Jeden Tag, an dem ich an diesem Drehbuch schrieb, ging ich auch zu dieser Gipsy-Musik-Gruppe und die erzählte mir dann irgendwann, dass ihr Komponist ein Argentinier wäre.

Zuschauer: Der Film hatte ja nun aus meiner Sicht ein "Happy End". Aber warum? Musste es einfach sein, weil sie ja als Opfer soviel durchmachte, dass sie einfach die Belohnung bekommen musste?

Potter: Also, es ist sowieso immer das Schwierigste, ein Ende für ein Script zu finden. Und einen Anfang. Also sprach ich mit verschiedenen Leuten, mit Script-Consulters, mit meinem Produzenten und so weiter. Ich diskutierte und diskutierte, versuchte dies und das, bis ich darauf kam, dass es gar nicht mal so unrealistisch sein kann, wenn ihr Vater nach Hollywood gegangen wäre. Viele Emigranten gingen Richtung Westen. Under war ja Sänger, auch Künstler. Hollywood wurde von Emigranten aufgebaut! Und für mich ist es außerdem ein bittersüßes Ende. Unsichere Träume werden plötzlich wahr, alles kommt darin vor und sie lächelt ja nur. Das ist das Ende.

Zuschauer: Was ich nicht ganz verstanden habe: Warum ist der Vater so? Obwohl er so ein religiöser Mensch mal war, warum macht er so eine Kehrtwende? Nur weil er den Glauben verloren hat?

Potter: Er ist ein Kämpfer. Nur jetzt auf einer ganz anderen Seite. Also, das kann wirklich passieren, dass, wenn man seinen Glauben verliert, eine ganz andere Seite verfolgt und sich von allem Alten abgeschottet.

Moderator: Können sie uns über ihre nächsten Projekte etwas erzählen?

Potter: Das würde ich liebend gerne tun, mit Vergnügen, wenn ich nur sein selbst wüsste, was das könnte. Ich habe zur Zeit 4-5 Projekte, die ich alle verfolge. Mal sehen welches es wird.

Zuschauer: Haben sie selbst etwas Autobiographisches mit eingebaut? Haben sie oder jemand anderes solche Erfahrungen gemacht? Konnten sie irgendetwas einbauen?

Potter: Sie fragen, ob jemand von meinen Verwandten oder Freunden jüdisch ist oder zu einer Minderheit gehört oder so? Nein, nicht direkt. Ich selbst bin in England aufgewachsen. Ich habe aber etwas Identifikation mit den Zigeunern. Denn meine Großmutter sagte immer, ich sehe aus wie eine Hexe oder wie eine von "denen", weil sie so feuerrotes Haar habe. 

(Die Gesprächsaufzeichnungen sind nach Gedächtnisprotokoll entstanden. Übersetzung: Dennis Albrecht)

                                                                                                                                                 

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