Mittwoch, 27. Januar 2021

AREND AGTHE: "Karakum"

FILMDISKUSSION MIT AREND AGTHE in der Buchhandlung "Rübezahl" in Dillenburg (28. Januar 1997)

Plakat zu KARAKUM 

Die kleine Buchhandlung RÜBEZAHL in Dillenburg ist ein guter Tipp in der Region. 1997 habe ich dort den Regisseur und Autor Arend Agthe kennenlernen dürfen. Er hat viele Filme für Kinder und Jugendliche gedreht. RETTET RAFFI war 2015 sein bisher letztes Werk. Aber FLUßFAHRT MIT HUHN ist dagegen sein bekanntester Film.  KARAKUM lief damals im GLORIA KINO gleich gegenüber in dieser schönen kleinen Stadt in Mittelhessen, wo ich auch meine Kindheit und Jugend verbracht hatte.


Eigentlich wollte AREND AGTHE Lehrer werden, erzählte er an diesem Abend. Er hatte Germanistik studiert und Film war eher eine Liebhaberei. Er hatte eine 16mm Kamera mit einer Kurbel zum aufziehen. Mit diesem Motor konnte er Szenen von 20 Sekunden drehen. Ab der 12. Klasse hatte er im Dorf die Stelle eines Filmvorführers bekommen und im Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik in Marburg und Frankfurt drehte er mit Freunden Kurzfilme. Diese Werke, wie zum Beispiel ein Stummfilm namens "Der Klauer" (1969) schickte die Gruppe zu den Kurzfilmtagen in Oberhausen. "Der Klauer" gewann dann auch gleich den Kritikerpreis und wurde vom Fernsehen gezeigt. Mit dem Geld für die Ausstrahlung haben Arend und seine Freunde dann gleich den nächsten Film produziert.   
Zu dieser Zeit kam auch die SESAMSTRASSE nach Deutschland. Die ersten Folgen wurden in der originalen englischen Sprache übernommen und über die Stimmen von Ernie und Bert wurden einfach mit Deutsch darüber gesprochen, bis es eigene deutsche Beiträge gab. Dafür wurden Leute gesucht und Arend erzählte, dass es ziemlich leicht gewesen wäre, dort hinein zu kommen. Er schrieb kleine Geschichte, verfilmte Kinderlieder und wurde dann selbst zum Produzenten. Es war ein großes Experimentierfeld möglich, bis er dann zu den Jugend-Umwelt-Sendung LÖWENZAHN kam.                                                                         
Dort hat er dann mit Peter Lustig zusammen geschrieben und gearbeitet.

1983 drehte Agthe seinen ersten Kinospielfilm. In der Buchhandlung berichtete er von einer Revolution in der Kultur des Kinderfilms. Zu dieser Zeit sollte es nicht mehr "nur" Märchen geben, sondern eine Veränderung im Denken der Produzenten machte plötzlich mehr möglich. So drehte er mit 1,6 Millionen Mark den Film FLUßFAHRT MIT HUHN, dessen Dreharbeiten zweieinhalb Monate dauerten. Es wurde eine Achtungserfolg im Kino und er wurde damals sogar in die Sowjetunion verkauft und dort ausgezeichnet. Er wurde zu einer Vorstellung in einen Pionierpalast  eingeladen, welcher beeindruckende 2600 Sitze hatte. Dort gab es aber nicht nur Lob, sondern auch Pfiffe. Einige Kinder hatten den Film abgelehnt und anders reagiert, als Agthe dachte. Trotzdem wurde er später in drei weitere Sowjetstaaten eingeladen, seinen Film dort persönlich vorzustellen.

So kam er nach Turkmenistan. Es ist ein Land, das zu 90 % aus Salzwüste besteht und dabei zweimal so groß ist, wie Frankreich. Die Hauptstadt Aschchabad hatte damals eine halbe Millionen Einwohner, wobei sich viele Stämme mischten. Die frühere Seidenstraße führt dort entlang. 
Agthe erzählte von einer dortigen Filmindustrie. Es gab ein Filmstudio, in dem bis zu 12 Spielfilme im Jahr auf 35mm und manchmal sogar auf Cinemascope produziert wurden. Fast jedes Dorf hatte ein eigenes kleines Kino.
1988 hatte er dort Uzmaan Saparov, einen heimischen Filmemacher kennengelernt. Sie verstanden sich so gut, dass sie beschlossen, zusammenzuarbeiten. Sie wollten einen gemeinsamen Film machen. Jeder sollte eine Drehbuchfassung schreiben. Das musste in dem jeweiligen Heimatland geschehen, da Agthe zurück nach Deutschland musste.

Das Hauptthema sollte sein, dass ein deutscher und ein turkmenischer Junge sich in der Wüste verirren. Wie der deutsche Junge dort hinkommen sollte, war zunächst unwichtig.
Agthe schrieb also seine Fassung. Doch die Verbindung nach Turkmenistan war schwierig, obwohl Gorbatschow damals an die Macht kam und sich die Sowjetunion ein Stück weit öffnete.
9 Monate hörte Arend Agthe jedoch nichts von Uzmaan und telefonieren war auch nicht möglich. Alles was hinter Moskau lag, wurde als Post wohl erst gesammelt und dann nicht weiter geschickt.
Doch eines Tages kam ein Brief aus Krakau, in dem Uzmaan seine Drehbuchfassung geschickt hatte. Beide Exposes waren auf ihren Wegen verloren gegangen.
Der Hessische Rundfunk war an dem Stoff interessiert und machte ein neues Treffen in Frankfurt am Main möglich. Sie stellten sich gegenseitig ihre Ideen vor und bemerkten, dass sie sehr weit auseinander lagen.
Nachdem ein Hamburger Filmproduzent in das Projekt einstieg, schrieben beide das Drehbuch innerhalb von 14 Tagen. Dabei fühlte sich Uzmaan in seinem kulturellen Verständnis immer wieder missverstanden. Der deutsche Junge sollte in der Geschichte verloren sein und der Turkmene sollte kreativ mit den Herausforderungen umgehen können. Als eine Schlange auftaucht, sollte der Turkmene sie töten, während der deutsche Junge nur vor Schreck erstarrt. Die Schlange sollte dann auch noch gegessen werden, so waren die Ideen von Agthe. Uzmaan machte deutlich, dass Turkmenen keine Schlangen essen würden. Selbst in einer Notlage wäre dies keine plausible Szenerie.

Ein weiterer Streitpunkt war dann die Plane vom LKW. Arend Agthe erzählte, dass in seiner Geschichte aus der Plane ein Segel für einen Strandsurfer gebaut werden sollten. Doch in Turkmenistan gab es einfach keine Lastwagen mit Planen. Es gab nur geschlossene Ladeflächen. So mussten sie einen LKW mit einer Plane aus Kiew ausstatten.

Ein weiterer Hauptdarsteller war eine Ziege, die im Notfall geschlachtet werden sollte. Der turkmenische Junge verteidigte die Ziege im Drehbuch mit seinem Leben. Diese Szene regte später bei einer deutschen Kinovorführung ein 9jähriges Mädchen sehr auf, eben wegen der drohende Schlachtung des Tieres. Für Europa war die Geschichte zu hart. 

Ein Teilnehmer der Diskussion in der Buchhandlung fand diese Richtung jedoch gut. Es sollte nichts beschönigt werden, es ist eben das Leben auf dem Lande, das er auch selber erlebt hat. Ein Bauer peitscht manchmal die Kuh, doch oben auf dem Berg reibt er sie liebevoll mit dem Stroh trocken.

Dieser Vergleich gefiel Arend Agthe und er erzählte, dass er genau dies auch aussagen wollte. Der verwöhnte deutsche Junge sollte gestärkt aus der fremden Kultur und der Krise hervorgehen. 
Auf die Frage, was Arend Agthe mit dem Film KARAKUM erreichen wollte, antwortete er, dass er zwei Kinder in eine aussergewöhnliche Situation bringen wollte, die damit eine Gradwanderung durchleben. Es sollte von einer Freundschaft erzählen, die non-verbal entsteht und es auch zu einem Happy End bringt.

Ein Teilnehmer wollte wissen, welche Sprache der turkmenische Junge bevorzugte. Agthe antwortete, dass er russisch sprach, da nur noch wenige Jugendliche die originale turkmenische Sprache beherrschten. Selbst die turkmenischen Filme haben haben russische Untertitel, damit die Jugend die wichtigsten Szenen verstehen.

Am Ende wurde ein gewisses Urverhalten besprochen. Die Jungs haben einen klassischen Konflikt, zwei Kulturen prallten da aufeinander. Und Agthe zitierte den deutschen Jungen aus seinem Film: 
"Ich verlange, dass man mich sofort hier herausholt!"
Mitten in der Wüste sagte er dies und erwartete sofortige Hilfe von außen.
Dies machte für Aghte den kulturelle Unterschied aus und lässt die zwei Arten von Leben am stärksten zeigen.

Dann kündigte Arend Agthe noch an, dass er als nächstes ein norddeutsches Märchen verfilmen wollte.

Es war für mich in jenem Jahr ein wunderschöner Dienstag Abend in der Buchhandlung. Dies waren die ersten Berührungspunkte mit dem Thema "Filme machen". Ein Profi erzählte und ich lernte allein von dem Gespräch unglaublich viel. 
2 Jahre später zog ich jedoch weg aus Hessen. Im "Rübezahl" war ich seitdem nicht mehr, doch den Laden gibt es bis heute. Vielleicht gibt es sogar noch Lesungen, aber Filmemacher kommen bestimmt nicht oft vorbei. Das war schon 1997 eine super interessante Rarität.

Arend Agthe (Foto von Kino.de)


Dienstag, 19. Januar 2021

LARS JESSEN: "Jennifer-Sehnsucht nach was Besseres"

PERSÖNLICHES GESPRÄCH mit 
LARS JESSEN 2017




LARS JESSEN auf imdb
Der deutsche Regisseur in seinem Hamburger Büro (Foto: Dennis Albrecht)

Der norddeutsche Regisseur ist bekannt für Kinofilme wie "Fraktus" oder "Der Tag, an dem Bobby Ewing starb". Er hat viele Fernsehfilme gedreht, sowie Serien wie das "Großstadtrevier". Die kleine Comedy-Serie "Jennifer-Sehnsucht nach was Besseres" mit Olli Dietrich und Klaas Heufer-Umlauf ist aber sein eigenes Baby. Sieht er sich als aber jetzt als deutscher Showrunner? Wie baut er die Figuren auf? In dem Gespräch geht es aber auch um Verwertung und Chancen der Online-Angebote.

Am 11. Oktober 2017 wurde im Rahmen der Initiative "UnsereFilme" das Interview mit Lars Jessen in seinem Büro geführt. Daraus wurde eine 10 Minuten lange Zusammenfassung erstellt. 

Hier ist das Video-Interview: 





Donnerstag, 7. Januar 2021

NICO SOMMER: "Lucky Loser"

KURZINTERVIEW NICO SOMMER 

am 09.August 2017 im Passage Kino Hamburg.

NICO SOMMER auf imdb 
Foto: Dennis Albrecht

UNSEREFILME: "Stiller Frühling" mit Tom Lass über "Familienfieber" zu "Lucky Loser". Wie würdest du selbst diesen Weg in drei Sätzen beschreiben?


NICO SOMMER: Die Stärken der Improvisation und des Dokumentarfilms habe ich dabei kennengelernt. Wege in den konventionelleren Spielfilm habe ich gesucht und gefunden. Zukünftig versuchend beides miteinander so in Einklang zu bringen, dass ein Mehrwert für den Spielfilm dabei herauskommt, das wäre mein Ziel.


UNSEREFILME: Bist du deinem Stil als Independent Regisseur treu geblieben oder muss man bei solch einer Produktion, wie deinem neuen Kinofilm anders arbeiten?


NICO SOMMER: Ich versuche meinem Stil, sofern es wirklich schon einer ist, treu zu bleiben und diesen zu perfektionieren, zu erweitern, zu verbessern. Das hat weniger etwas mit Independent zu tun, als mit dem Anspruch an Geschichten. Bei einer Independent-Produktion hast du die größeren Freiräume, aber dafür auch die schlechtere finanzielle Ausstattung.


UNSEREFILME: Hättest du eine kleine Idee, wie wieder mehr deutsche Filme gesehen werden könnten?


NICO SOMMER: Kino sollten dazu verpflichtet werden eine Quote zu erfüllen, ähnlich der Radioquote mit deutschsprachigen Musikern oder Bands. Ein Zwang zur Akzeptanz, dass Zuschauerzahlen der Festivals in die offizielle Kinozuschauerzahl mit einfließen kann für deutsche Filme nützlich sein. Eine größere und breitere Förderung von Verleih und Vertrieb von deutschen Filmen würde auch helfen. Eine Kürzung der Förderung für internationale Filmproduktionen sollte trotzdem beibehalten werden. Die Sperrfristen sollten variabler gehandhabt werden, vor allem bei Filmen mit einem Budget von unter 1. Millionen Euro.


UNSEREFILME: Vielen Dank an Nico Sommer für das kurze Interview.



Dennis Albrecht und Nico Sommer im Passage Kino
Fotos: Dennis Albrecht








MATTHIAS HUES "Karate Tiger 2", "Dark Angel" und "Legion Of The Dead"

PERSÖNLICHES INTERVIEW  mit MATTHIAS HUES  Foto von Dennis Albrecht am Set von „Legion Of The Dead“ Fragen von Christian Witte:  Du hast mit...