Sonntag, 16. April 2023

LARS EIDINGER „Persischstunden“

LARS EIDINGER "Persischstunden" im Zeise Kino Hamburg am 25. September 2020.

Lars Eidinger am 25.9.20 im Zeise Kino Hamburg. Foto: Dennis Albrecht

Matthias Elwardt: Meine Damen und Herren, the one and only! Lars Eidinger. (Applaus)  Lars, wie bereit man sich auf solch eine Rolle vor, in der man eine Sprache spricht, die es nicht gibt?

Eidinger: Ja, es war schon ein Vorteil, dass der Nahuel die Rolle spielt und nicht ich. Der ist vielen Leuten schon ein Begriff. Ich hab ihn jetzt in einem anderen Film gesehen, „120BPM“, ein französischer Film, ganz toll. Dann habe ich herausgefunden, dass er eigentlich Argentinier ist, der französisch für den Film gelernt hat. Und er spricht auch kein Wort Deutsch. Der hat einfach eine Begabung, der ist phonetisch einfach so überzeugend. Ich wollte in den Drehpausen immer mit ihm Deutsch reden, aber das ging gar nicht. Der hat mir auch diese fiktive Sprache für diesen Film beigebracht. Die gibt es zwar gar nicht, aber es gibt trotzdem eine Logik da drin. Jedes Wort hat tatsächlich eine Bedeutung. Es gibt feststehende Definitionen. Ich habe ihn immer mal gefragt, wie er es sagen würde. Im Hotel haben wir uns Textnachrichten geschickt. Er hat mich dann oft gefragt, wie ich das Deutsche aussprechen würde. Ein Tag, bevor wir das gedreht haben, hat er mir dann seine deutsche Version geschickt und die klang dann oft nicht gut. Dann hab ich es ihm draufgesprochen und wie ich es als Deutscher sprechen würde und nur 10 Sekunden kam dann seine Antwort und dann klang es perfekt. Der hat echt so eine überirdische gute Begabung.

Elwardt: Das heißt, sein Deutsch ist nicht nachsynchronisiert? Das ist der originale Drehton und er hat es einfach nur phonetisch gelernt?

Eidinger: Ja. Verrückt. 

Elwardt: Respekt. 

Eidinger: Nur ich bin komplett synchronisiert. (Gelächter)

Elwardt: Wie ist die Entstehung des Stoffes abgelaufen? Es gab da so eine Geschichte von Wolfgang Kohlhasse. Oder hat die damit nichts zu tun? Zweite Frage: Das war mit einem russischen Team, in Russland gedreht, wenn man dem Abspann glauben darf. Wir kennen nicht so wahnsinnig viele russische Filme, die sich mit der NS-Zeit so auseinandersetzen und erforschen. Wie war das denn, so eine NS-Holocaust-Geschichte zu drehen? 

Eidinger: Jetzt habe ich schon die erste Frage vergessen. Idee der Geschichte? Kohlhaase? Ja, hab es selbst nur so abgespeichert, dass die Russen dieses Drehbuch geschrieben haben. Der Drehbuchautor lebt in Berlin. Den haben wir vor dem ersten Drehtag getroffen und der hat überhaupt nichts von Kohlhase erzählt. Ich glaube, er kannte die Kurzgeschichte gar nicht und es war ihm gar nicht bewusst, dass sich sein Buch auf Kohlhase aufbaute. Er hatte die Geschichte irgendwann mal gehört. Vielleicht hat er sich das auch eingebildet, er hätte sie sich ausgedacht. Das ist ja manchmal so. Ist jetzt nicht bösartig gemeint. Am Anfang steht auch: „Diese Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit“. Dabei soll Kohlhase die Geschichte selbst irgendwann irgendwo aufgeschnappt haben. Ehrlich gesagt, mich stört es dann immer, wenn am Anfang so etwas steht. Ich glaube nicht, dass man dann bei anderen Filmen schreibt: „Diese Geschichte ist komplett ausgedacht“. Ich kenne jedenfalls diese Kohlhase-Geschichte gar nicht, es war nicht relevant. Verrückter Weise haben wir das alles erst danach erfahren, dass es da etwas gibt und deshalb taucht der Vorpsann jetzt immer mal wieder auf. 

Und die andere Frage: Ja, ich hab ja schon mal in Russland gedreht. Das ist schon immer nicht so einfach. Ich weiß, wir als Hauptdarsteller haben es total genossen, aber die ganzen anderen Schauspieler, die haben ziemlich gelitten. Die fanden das ziemlich scheiße da. Es war einfach kalt und alle haben nur russisch gesprochen. Keiner am Set hat Deutsch gesprochen, die Set-Sprache war eigentlich Englisch, aber nur zwischen uns und dem Regisseur. Der Rest vom Team hat russisch gesprochen und das fühlt sich immer komisch an. Ich habe gerade in Paris gedreht und da haben alle natürlich nur Französisch gesprochen. Irgendwann fühlt man sich dann nicht so richtig wohl. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass das so ein Dreh war, wo man sich in irgendeiner Form geborgen fühlte. Es war eher die Thematik, die interessant war. Es war in Weißrussland und wir kennen ja alle die Bilder von dem, was da gerade passiert. Wir haben da in einem Hotel gewohnt und ich hatte das Gefühl, dass wir die ersten Gäste waren. Das war alles noch ganz neu, mit einer Mauer drumherum. Wir durften dieses Areal nicht verlassen. Es hieß immer, es wäre viel zu gefährlich. Einmal habe ich mich von unserem Fahrer an einem freien Tag in die Stadt fahren lassen und bin da herumgelaufen. Ich habe schon gemerkt, dass man da sehr schnell auffällt und hab dann am nächsten Tag erfahren, dass mein Fahrer mich auf Schritt und Tritt begleitet hatte. Ich war dann doch nie allein unterwegs. 4 Stunden ist der mir hinterher gelaufen und hat gesagt, dass ich keine betrunkenen Russen von hinten filmen kann. Das gäbe Ärger. Die haben sich einfach große Sorgen gemacht. 

Der Regisseur hatte schon eine große Sensibilität für dieses Thema, weil er auch selber Jude ist. Der ist in Russland geboren, aber lebt mittlerweile in Kanada. Diese Sensibilität hatten aber nicht alle. Ich musste vorhin an einen Moment denken, wo die alle da auf diesen Platz getrieben und ihnen die Sterne aufgenäht werden. Da gab es dann einen von den Mitarbeitern des russischen Teams, der hatte sich auf seine Daunenjacke einen Judenstern genäht. Der fand das total witzig. Und dann bin ich hingegangen und hab gefragt, ob er den wieder abmachen kann, ich fand das nicht witzig. 

Elwardt: Mir ist im Abspann der Text aufgefallen: „Das Team dankt Roman Abramovic. Ist das dieser reiche Russe, der auch im Fußballgeschäft ist?

Eidinger: Weiß ich nicht. Keine Ahnung. Kann aber gut sein. Denn ich hab noch nie so viel Geld verdient.

Elwardt: Wie hat denn der Regisseur mit Euch kommuniziert? Er sprach ja kein Deutsch, hat aber mit deutschen Schauspielern gedreht. Hatte er noch einen Dolmetscher? Wie wusste er, ob ihr das richtig macht? 

Eidinger: Eine deutsche Mitarbeiterin hat Script gemacht, sie hat darauf geachtet, was gesagt wurde. Aber oft war es echt so, wie bei Soap Operas. Weil die da so wenig Zeit haben, nehmen die dann immer den erste Take. Der wird dann einfach so genommen. Wenn sich jemand versprochen hat, war es scheißegal. Die haben einfach keine Zeit, um das noch mal zu machen. Wenn aber der Schauspieler selber den Anspruch hat und es noch mal machen will, dann schmeißt er sich im Laufe des Takes auf den Boden, damit man den Take gar nicht benutzen kann. Er weiß, wenn er ihn zu Ende spielt, wird er auch genommen. Bei uns war das auch oft so, dass wir sagten:„Nein, warte mal, ich hab mich hier total versprochen.“ Dann hat man es noch mal gemacht. Es ist ja zumindest von mir so ein Ehrgeiz, so zu spielen, dass man auch einen Versprecher nehmen kann. Warum soll sich eine Figur im Film nicht versprechen? Also, ich verspreche mich ja auch im echten Leben manchmal. Aber ich finde es echt lustig, weil ich eben ein paar Szenen gesehen habe, wo ich mich deutlich verspreche. Die sind aber im Film geblieben, weil das halt keiner gemerkt hat. Aber es hat ja was.

Elwardt: Wie hast du dich denn auf die Rolle vorbereitet? Kann man sich auf so eine Rolle als SS-Offizier vorbereiten? Verändert das Kostüm schon einiges? 

Eidinger: Kann ja sein, dass sich einige Kollegen viel vorbereiten, aber ich bereite mich nie vor! Ich gehe einfach nur hin und habe den Text gelernt. Was soll ich mich denn vorbereiten? Den Hitlergruß oder so? Also, ich fand, da kann man nichts üben. Ich wüßte nichts… 

Elwardt: Ja, es gibt Leute, die überlegen sich eine ganze Biographie.

Eidinger: Ja, ich kenn solche Leute.  Nein , es ist ja eine berechtigte Frage. Ich glaube, es ist auch eine Entwicklung. Das klingt jetzt so kokett, aber so meine ich das gar nicht. Meine Erfahrung ist mittlerweile, dass es nichts bringt. Ich möchte eigentlich wegkommen von dem gestalterischen Moment. Es ist mir so beigebracht worden und es war auch gut so, diesen Weg zu gehen. Ich glaube nicht mehr daran, dass ich im Hotelzimmer überlegen kann, was man wie wann macht und mit welchem Gesicht. Ich kann es wirklich nur in diesem Moment entscheiden. Ich bin dann gut, wenn ich es passieren lasse und und wenn ich mich nur auf den Moment einlasse. Und verrückter Weise, wenn es mir gelingt, dann gibt es nicht, was ich nicht machen kann. Dann gibt es keine Steigerung, dann wunder ich mich selber, teilweise darüber, was mein Körper macht. Das ist aber nur eine Reaktion auf die Konzentration, auf den Moment. Das andere ist total limitiert, die Gestaltungen sind total limitiert. Von dem was ich ausdrücken kann, da gibt es ja Grenzen, aber in dem Moment, wo ich mich öffne und sage, ich lasse es zu, dann gibt es keine Grenzen. 

Da wird man ja leicht falsch verstanden, wenn es davon lebt, dass es genial ist, aber dann passiert etwas, was genial ist. Das hat aber nichts mit mir zu tun. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich genial bin! Aber das, was da passiert ist genial. Und das hat etwas für mich mit Transzendenz zu tun, etwas überirdisches. Es passiert etwas, was man gar nicht steuern kann. Je länger ich in diesem Beruf bin, desto mehr vertraue ich darauf. Ich sehe mich dann tatsächlich spielen. Aber da habe ich jetzt nicht im Hotelzimmer gedacht: „Oh, wie spiele ich das denn morgen?“ Das würde auch nicht gehen. Ich versuche mich einfach nur auf diese Figur einzulassen und auf die Situation. Und keine Ahnung warum, aber dann klingt die Stimme so. Ich könnte sie gar nicht so verstellen. Es ist wirklich nicht so, wie man denkt, Schauspieler würden Gesichter vor dem Spiegel üben. Ich weiß gar nicht, was mein Gesicht da macht. 

Erwaldt: Gibt es denn in dem Film einen besonderen Moment? Vielleicht eine Szene mit einem besonderen Glücksfall, wo du das gefühlt hast, was du gerade beschrieben hast?


Lars Eidinger links und Matthias Elwardt im Gespräch. Foto: Dennis Albrecht 

Eidinger: Ja, eigentlich in dieser Szene, wo wir diese Fantasie-Sprache sprechen. Nicht, das Gedicht, sondern wo er sagt: „Du hast jetzt so viele Worte geredet, lasst uns sprechen." Und dann fange ich an, von meiner Familie zu erzählen. Für mich war das so eine Schlüsselszene, weil ich da gut über die Sprache funktioniere, wie bei Shakespare, wo man eigentlich alles über die Sprache geht. Bei Shakespeare muss man sich auch nicht kitschig verstellen. Wenn man es auf der Bühne schafft, wie z.B. bei "Romeo und Julia", da gibt es einen tollen Satz von ihr: „Ich vertraue mir selbst nicht mehr." Da kann man sich darauf verlassen, dass der Körper dann mit einem was macht. Das kann ich nicht spielen, das kann ich nicht darstellen. Aber ich kann es sozusagen erleben. Aber da ist trotzdem die Sprache der Impact. Und wenn ich jetzt sage: „Ich liebe dich. Ich bin alleine, ich habe Angst…“ Wenn ich das dann auf Englisch sage oder auf Französisch, hat die Sprache einen Impact. Wenn ich dann noch eine Fantasiesprache spreche, macht die gar nichts mit mir. Ich muss mir also etwas konstruieren, was da drunter liegt, was mich dann bewegt. Und das finde ich wahnsinnig kompliziert.Weil ich ja trotzdem auch die Ebene hatte, scheiße Lars, hoffentlich fällt dir der Text in dieser ersten Ebene ein. Und die muss man erst einmal bewältigen. Und dann muss man auch noch das andere alles zulassen. Als wir das gemacht haben, hatte ich das Gefühl, das ist uns sehr gut gelungen. Das war dann ein toller Moment.


Elwardt: Sie sind herzlich eingeladen, sich an dem Gespräch zu beteiligen. Ich habe auch ein Tuch dabei, um das Funkmikro abzuwischen. Dahinten ist eine Frage, ich komme mal zu ihnen. 

Zuschauer: Ich wollte mal fragen, ob das mit einem seelisch etwas macht, eine so zu verurteilende Rolle zu spielen? 


Eidinger: Ganz am Anfang hatte ich so gedacht, ich bin ein deutscher Schauspieler, ich will nicht immer die Nazis spielen. Das sagen die meisten ja in den vielen Interviews. Ich sage aber, das sind die beste Rollen! Nazis sind doch super zu spielen. Je öfters ich es gemacht habe, desto mehr merke ich einfach, dass man sich doch so immer an seinem eigenen Trauma abarbeitet. Das ist sehr anstrengend, dem immer wieder zu begegnen. Ich habe in naher Zukunft jetzt alles abgesagt, was mit der Nazi-Zeit zu tun hat, weil das ist dann über aller Gebühren anstrengend. Das Ding ist ja auch, dass ich immer so aufgewachsen bin, dass ich dachte,, das war eine ganz andere Zeit. Es war alles nur schwarz-weiss. Es ist so ewig weit weg. Dann ist mir aber irgendwann bewusst geworden, dass dieser Mann, den ich mich immer da im Fernsehsessel erinnere, der aussah wie ein Skelett, der nie etwas gesagt hat, Kette geraucht hat, mein Opa, dass der ja im Krieg gekämpft hat. Der, dem ich noch begegnet bin, als ich ein kleiner Junge war, der hat im Krieg als Soldat gekämpft. Mein Vater, ist im Krieg geboren. Ich bin durch meinen Vater unmittelbar erzogen, der wiederum von seinem Vater stark beeinflusst war, das prägt mich natürlich als Mensch. Ich habe das Gefühl, sehr stark, davon geprägt zu sein. Die Art, wie mein Vater mich anfasst und mit dem, was der dann früher erlebt hat. Das finde ich dann schon schwierig, zu sagen, ich versetze mich jetzt in diese Zeit und spiele das sozusagen nach, das hätte ja schon fast so einen therapeutischen Aspekt. Was macht das jetzt, wenn ich dieses Kostüm anziehe, diese Uniform? Dann fand ich wichtig, dass man sich traut den an sich ranzulassen, so als Spieler. Dass ich das Gefühl habe, ich weiß, wie ich mich jetzt in dieser Situation verhalten müsste. Das ist ja kein James Bond-Bösewicht, also keine ausgedachte Figur. Nur weil er einen russischen Dialekt hat, muss er der böse sein, also so sind wir ja noch groß geworden. Das fällt mir gerade ein, weil ich gerade die TENET gesehen habe und dachte mir: Kann man denn 2020 zeigen, dass der Bösewicht einen ukrainischen Dialekt besitzt? Hat Kenneth Branagh den Schuss da nicht gehört? Das habe ich zum letzten Mal in den 70er bei James Bond gesehen. Das wäre also sozusagen der Anspruch, dass man so wie ich da meinen Großvater sehe, ich mich da auch sehen kann.  Und mich in der Kostümierung auch zur Disposition stellen kann und sage kann, dass bin jetzt ich im zweiten Weltkrieg und das mache ich jetzt.  

Zuschauer: Also, ich fand den Film die ganze Zeit spannend, und sehr berührend. Ich habe überlegt, ob es noch eindrucksvoller gewesen wäre, wenn man den Film in schwarz-weiss gedreht hätte. Haben sie sich mal darüber Gedanken gemacht oder wäre es dann zu sehr Arthaus geworden? Oder ob man den jetzt farblich gemacht hat um ihn dann besser in die USA zu verkaufen? 

Eidinger: Nein, ich glaube, dass ist gar kein Kriterium, ich glaube eher umgekehrt, dass es in der schwarz-weißen Variante eine Form der Ästhetik wäre. Ich kann mich an die ersten Farbaufnahmen erinnern, die ich von Adolf Hitler gesehen habe und stutzte. Hitler gibt es in echt? Ich finde das monströs, das in Farbe zu zeigen. Ich glaube, so hält man das eher von sich weg. Es hätte schon schöner ausgesehen, vielleicht wäre es glaubhafter gewesen, weil man es in die Zeit besser hätte Vororten können. Aber ich glaube nicht, dass es eine Überlegung war, dass man es dadurch besser nach Hollywood verkaufen könnte. Im schlechteste Falle dreht ja Hollywood den Film einfach noch mal nach… mit richtigen Schauspielern… (Gelächter) 

Ja, danke noch mal, dass ihr so ausdauernd seid. Es ist ja so schlecht besucht…

Elwardt: Es ist ausverkauft, Lars! 

Eidinger: Ja, ich weiß.

Wegen der weltweiten Covid19 Pandemie 2020-2023 konnten die Plätze nur im Schachbrettemuster und mit Abstand verkauft werden. Somit konnte der Saal nur zur Hälfte ausgelastet werden udn sah sehr leer aus.


Zuschauerin: Ein Gedanke, der mir durch den Kopf ging, war ein Zitat: „Sprache schafft Wirklichkeit“. Das Konzept und die Dominanz der Sprache ist also angesprochen. Ich bin selbst Psychologin und arbeite viel mit Sprache. Was bedeutet Sprache für dich und welche Realitäten gibt es durch Sprache im Film?

Eidinger: Es ist tatsächlich so, dass gerade bei Shakespeare alles nur über die Sprache funktioniert. Und da muss ich mich auch nicht vorbereiten, ich gehe auf die Bühne und starte im Nullzustand. Im englischen ist das noch viel krasser. Ich glaube auch, dass man im deutschen bis zu 80 Prozent verliert, was Shakespeare ausmacht. Dieser Rhythmus der Sprache, die Musikalität, das verliert man ja alles, man verliert ja sogar den Vers. Aber es ist wirklich faszinierend, dass da wirklich nur die Sprache die Impulse gibt. Das aufregende in der Musik ist es, wenn es jetzt keine gesungenen Texte sind, z.B. ein Klavierstück, dass es etwas mit mir macht, was Sprache nicht kann. Die Sprache bleibt immer rational. Die Musik provoziert etwas irrationales und das ist manchmal viel größer als eine Sprache. Mir wurde das immer so erklärt, dass z.B. beim Musical immer dann setzt die Musik einsetzt, wenn die Sprache versagt. Das finde ich eigentlich toll, da hab ich dann doch das Gefühl, dass Sprache irgendwie limitiert ist. Der Film führt das ja auch über die Sprache da ad absurdum, dass man Leute für Sprache, Religion oder Herkunft verurteilt. Es ist alles von Menschen gemacht. Es ist absurd, jemanden dafür zu verurteilen. Ich finde es z.B. auch interessant, dass die Stimme sich immer verändert, wenn man eine andere Sprache spricht. Wenn ich einen englischen Film drehe und ich muss den dann in Deutsch nachsynchronisieren, dann spreche ich viel höher auf Deutsch. Dann hab ich immer das Gefühl, der Charakter hat doch eine viel tiefere Stimme. Dann kann ich das gar nicht im Deutschen. Dann ist das plötzlich eine ganz andere Figur. Aber vielleicht sollt eman einen Linguisten fragen, ein Schauspieler kann da ja nur ausführen. Ich merke also gerade, ich weiß eigentlich darüber nichts. Ich kann nur herumraten. 

Zuschauer: Es gab eine Aussage im Hamburger Abendblatt über Lars von Trier. Würden sie gerne mal mit ihm drehen?

Eidinger: Hamburger Abendblatt? Das ist diese Schmierzeitung, oder ? (Gelächter)

Also in dieser Zeitung wurde gefragt, wie weit man gehen würde, um bei Lars von Trier eine Rolle zu bekommen. Ich finde, Lars von Trier ist der Größte von allen überhaupt. Wenn der mir jetzt sagen würde, Lars, ich habe die Idee, dass du dir in der letzten Szene den Arm abhakst... dann würde ich zumindest darüber nachdenken. Ich glaube sowieso, ich habe da einen großen Faibel, Sachen vor der Kamera zu machen oder auf der Bühne, wo die Grenze zwischen dem Realen und dem Fiktiven verschwimmt. Weil ich inzwischen an dem Punkt bin , wo ich gemerkt habe, dass es da gar keinen Unterschied gibt. Ich habe das nie verstanden, wenn Kollegen gesagt haben: "Ihr Beruf heisst: Lügen." Ich würde eher sagen, mein Beruft heisst: "Die Wahrheit sagen". Deswegen finde ich so Moment auf der Bühne oder beim Film spannend, wo man sagt: "Das kann jetzt aber gar nicht gespielt sein." Das ist so verblüffend, das ist so wie bei einer Erektion. Das kann ja keiner spielen. Ich habe mal MacBeth gespielt, das war vor 22 Jahren. Da gab es eine Probe, wo eine Schauspieler beim Wühlen im Schlamm mit einem Kollegen eine Erektion bekommen hat. Da kam der dann von der Bühne und es war ihm ausgesprochen peinlich. Ich habe zu ihm gesagt: "Das war das Schönste, was ich je gesehen habe!" Was gibt es denn Tolleres, als so etwas? Auf der Bühne sterben, also so ein Snuff-Theater, das ist ja das höchste der Gefühle! Da kann man ja dann nicht sagen: "Ja, das hat der jetzt schlecht gespielt." Tot ist tot. Das finde ich beeindruckend, zu schauen, wie weit kann man gehen. Ein anderer Schauspieler hat sich bei einer Inszenierung den Finger abgerissen, mit einer Sektflasche. Die sollte sollte auffliegen und da ist der Finger so mitgegangen... Der hat dann auch weiter gespielt. Oder Thomas Thieme hat bei "Schlachten" mit einer blutenden Hand immer weiter gespielt... Aber ich schweife jetzt von der Frage ab...

Es gibt jedenfalls auch so ein Missverständnis, wenn man sagt, dass man diesen Schauspieler jetzt nicht so interessant findet. Der spielt immer nur sich selbst. Das habe ich früher auch gedacht, aber dann fand ich Schauspieler immer toll, die man nicht wieder erkannt hat. Mittlerweile glaube ich, dass es gar nicht geht. Die schwerste Disziplin ist es, sich selbst zu spielen. Ich glaube, es ist fast unmöglich. Aber das ist mein Ehrgeiz, das zu erreichen. Ich will immer selber anwesend sein. 

ESTHER SCHWEINS, KOSTJA ULLMANN „Lucy ist jetzt Gangster“

ESTHER SCHWEINS, KOSTJA ULLMANN am Abaton Kino Hamburg am 30. September 2022.

Esther Schweins vor dem Abaton Kino. Foto: Dennis Albrecht


Beim Michel Kinder&Jugendfilmfest, das jedes Jahr im Rahmen des Filmfest Hamburg läuft, haben wir 2022 die Teilnehmer*innen eines Workshop auf die Stars einer Premiere losgelassen. Es wurden Interviews und Fragen gestellt, auf dem roten Teppich und im Kino. Die jungen Reporter sollten so den Beruf des Schauspielens auskundschaften und trauten sich Leute wie Esther Schweins oder Kostja Ulmman direkt zu fragen.

Workshop-Teilnehmerin:  Wir würden gerne fragen, was so die 3 wichtigsten Dinge sind, wenn man ins Schauspiel-Business einsteigen möchte.

Esther Schweins: Die drei wichtigsten Dinge? Ich glaube, ich hätte jetzt fast gesagt:„Spielfreude“. Die ist aber gar nicht allen so gegeben. Was braucht es? 
Es braucht, sich durchsetzen, auch wenn es diese Spielfreude und Unschuld nicht gibt. Weil oft es ist auch Furcht, oft ist es Angst. Und das mitzunehmen, alles mitzunehmen, was man empfindet, in dem Moment, in die Rolle. Das ist es! Denn eine andere Chance hast du gar nicht, weil du kannst es nicht weg tun. Ich glaube, das ist wichtig. Haltung! Und zwar eine innere Haltung zu dem, was du da spielst, aber auch eine Haltung zu der Welt, wie sie gerade ist und was du tust. Das zu nutzen, um die richtige Haltung einzunehmen und jene auch zu zeigen.  Damit du persönlich nicht untergehst, hinter dem, was du spielst. Waren das mehr als drei Dinge? Das waren zwei? Die sind schon wichtig. 
Und immer zum Foto-Call, wenn sie einem rufen. 

Teilnehmerinnen: Dankeschön.

Esther Schweins muss zum Foto-Call auf den roten Teppich. (Sieht Foto).


Die beiden Hauptdarstellerinnen, die Zwillinge Violetta und Valeria Arnemann stehen auf dem roten Teppich zur Verfügung.

Teilnehmerin: Steht ihr das erste Mal vor der Kamera

Valerie + Violetta Arnemann: Eigentlich ja! 

Teilnehmerin: Wie lange macht ihr das schon? Und wie lange hat es gedauert, den Film zu drehen? 

V+V: Der Film hat zwei Monate gebraucht. 

Teilnehmerin: Das ist lang. Habt ihr es gerne gemacht?

V+V: Ziemlich gerne. Also, es hat total viel Spaß gemacht, mit all den Leuten, die ja auch so nett sind. 

Teilnehmerin: Ich stand auch schon vor der Kamera. Ich bin im Vorfilm zu sehen.

V+V: Cool. 

Teilnehmerin: Und was wollt ihr beruflich später mal machen? 

V+V: Eigentlich ist so unser Ziel auch Schauspielerin zu werden. 

Teilnehmerin: Wie kann man euch auseinanderhalten?

V+V: Also, ich hab hier so ein Muttermal. Und das muss dann im Film bei meiner Schwester aufgemalt werden, damit wir wieder gleich aussehen. Wenn ich dann so eine Frisur wie meine Schwester habe, dann könnte man auch unterscheiden. Und von der Kopfform bin ich ein bißchen anders. 

Teilnehmerin: Und von der Größe! Ihr habe also eine Rolle gespielt, eine Person? 

V+V: Ja, wir waren eine Person im Film. 

Teilnehmerin: Dann danke und viel Spaß bei euren Film. 

IM KINO:

Zuschauerin: Wie alt seid ihr?

V+V: Wir beide sind 12 Jahre alt und die anderen sind 14. 

Teilnehmer: Mich würde interessieren, wie ihr auf diese Stil-Mischung gekommen seid, zwischen 70er Jahre und 21. Jahrhundert. Ich habe da auch zwei schwarz-weiß Fernseher gesehen.

Till Endemann: Ja, für mich war das immer ein Märchen oder eine Parabel, die wir erzählen und wir wollten dann ganz einfach eine Überhöhung, eine Kunstform wählen. Also, du hast recht, es ist übergreifend zwischen 70er und heute. Wir haben das als Form unseres Märchens gewählt, um es dann noch zeitloser zu machen. 

Teilnehmer: Habt ihr gut hinbekommen. 

Till Endemann: Merci. 



Teilnehmerin: Wie ist es vor der Kamera zu stehen?

Kostja Ullmann: Ja, das ist immer wieder aufregend, gerade wenn wie jetzt, eine Kamera in mein Gesicht gehalten wird. Es ist immer aufregend, ich mache das schon mein Leben lang. Das spannende ist ja, immer wenn ich vor der Kamera drehe, um ein Film zu drehen, darf ich ja da gar nicht reingucken. Aber bei Interviews muss ich ja immer in die Kamera reden. Das finde ich dann immer ganz furchtbar und aufregend. 

Teilnehmerin: Wie lange machen sie das schon?


Kostja Ullmann: Viel zu lange, wenn ich darüber nachdenke. Ich habe angefangen da war ich ... 11 Jahre alt? Und jetzt bin ich 38 Jahre alt! Da darfst du jetzt mal selber rechnen, denn ich hatte in Mathe eine 5. Uralt auf jeden Fall!


Bei der Kinovorstellung konnten Kinder im Publikum auch Fragen stellen.

Vor dem Kino war der rote Teppich mit Foto-Terminen. Alle Fotos von Dennis Albrecht.



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PERSÖNLICHES INTERVIEW  mit MATTHIAS HUES  Foto von Dennis Albrecht am Set von „Legion Of The Dead“ Fragen von Christian Witte:  Du hast mit...