Sonntag, 19. September 2021

THOMAS BAUERMEISTER 2021: Kino, Pandemie, Streaming

GESPRÄCH MIT THOMAS BAUERMEISTER im APRIL 2021



Thomas Bauermeister
Foto: TP2-Talentpool


Mit dem Kinogespräch von 1993, sind da eigentlich noch weitere Erinnerungen hoch gekommen, die erzählt werden könnten?

Thomas Bauermeister: Natürlich hat die Aufzeichnung des Kinogesprächs damals in Haiger jetzt beim Lesen eine Unmenge an Erinnerungen wach gerufen. Es sind so viele, dass sie unmöglich hier aufgezählt werden können. Zumal die meisten von ihnen auch mit sehr persönlichen Dingen verbunden sind. Über all die neuen, sehr bewegenden Erfahrungen, aber auch über die mitunter durchaus schmerzhaften, könnte man, glaube ich, eigentlich ein eigenes ziemlich spannendes Buch herausgeben. Zumal das Ganze ja Mitten in der Wendezeit mit ihrem Abenteuer einer deutsch-deutschen und zugleich einer „neuartigen“ deutsch-sowjetischen Begegnung stattfindet. Und all das vor diesen tödlich strahlenden Reaktor-Ruinen und der permanenten Lebensverstümmelung unzähliger Kinder und Jugendlicher.

Die für mich wichtigste Erfahrung, die sicher auch die vielen Mitstreiterinnen und Wegbereiter in Ost- und West geprägt hat, sollte man hier aber doch ansprechen: Es ist die Erfahrung, dass in einer katastrophalen Situation, die uns alle zur Ohnmacht, zur Lethargie und zur Resignation zu verdammen scheint. Es ist stets das Wirkungsvollste, Schönste und Heilsamste für alle, sich zur Wehr zu setzen, etwas zu tun. Was genau, ist erstmal fast egal, das ergibt sich wie von selbst. So war es für mich auch mit dem Film. Er sollte ja zunächst eigentlich nichts weiter als ein filmischer Spendenaufruf für die diversen Hilfsprojekte sein. Wobei es meine persönliche Motivation dazu war, wie ich von Anfang an allen Beteiligten und Unterstützern sehr deutlich sagte, dass ich eine komplizierte vorrangegangene Erfahrung als Drehbuchautor schlicht in einen Film, indem es um darum geht, etwas Sinnvolles aufzubauen, zu kämpfen und sozusagen dem Tod zu trotzen, abreagieren wollte. So schnöde unheroisch war das, dass einige davon gar nichts hören wollten oder sogar misstrauisch waren, ob ich dieses Thema nicht etwa für eigene Interessen ausbeuten würde. 

Dieser Konflikt trifft aber aus meiner Sicht genau in Schwarze jeder Hilfe. Sich aufzuraffen, ist zunächst das Entscheidende – und dabei überrascht festzustellen, wie viel Mut in einem selbst steckt, und wie einfach sich das plötzlich anfühlt. Alles Weitere kommt dann fast von selbst. Je mehr man damit etwas Neues für Andere zu versucht und solange die Ansprüche und einzelnen konkreten Schritte sich an den eigenen Möglichkeiten und Vorteilen orientieren, desto erfüllter und lehrreicher ist es für einen selbst. 

Die wichtigste Lehre aus meiner Sicht war: Jemand anderem zu helfen, geht nur auf Dauer gut, wenn man sich selber damit hilft. Und genauso umgekehrt. Du tust dir dann etwas Gutes, wenn du damit auch für andere da bist. Beides muss sich die Waage halten, davon bin ich spätestens seit dieser Zeit überzeugt. Gesunder Egoismus und Altruismus sind keine Gegensätze, das hat schon Erich Fromm immer wieder betont. Im Gegenteil, sie sind Bedingung für einander. Es ist extrem wichtig, dass man sich dies nicht nur sich selbst, sondern auch dem, der Hilfe empfängt, vom Anfang an ganz offen. Sonst läuft von vorne herein etwas schief, und das rächt sich. Du musst sagen, warum es dir hilft, was dein egoistisches Interesse daran ist, dem anderen zu helfen. Das bedeutet, alle Helfer-Romantik über Bord zu werfen. Und das befreit nicht nur, sondern kann manchmal ganz schön weh tun.


Welchen Stellenwert hat dieser Film heute für dich?


Thomas Bauermeister: Zufällig habe ich erst neulich, nach ewigen Zeiten den Film wiedergesehen. Mein Sohn hatte mir eine mp4-Überspielung zum Geburtstag geschenkt. Ich sollte sehen, ob technisch alles ok geworden ist. Natürlich hatte ich ganz schön Angst, ob er heute noch Stand hält. Zum Beispiel wegen meiner, aus späterer Sicht, ziemlich pathetischen Kommentar-Stimme. Trotzdem hat er mir, ich muss es leider ehrlich sagen, auch ein bisschen zu meiner eigenen Überraschung, ziemlich gut gefallen. Selbst wenn das eingebildet klingen mag. In der Sache ist alles noch genauso zutreffend, leider. Und auch sonst hat alles Bestand. Natürlich dokumentieren wir den damaligen Stand, aber das macht es aus meiner Sicht heute erst interessant. Vor allem aber, wie persönlich der Ton ist und wie musikalisch die vielen Ebenen ineinander spielen, hat mich im Nachhinein nach fast dreißig Jahren überrascht und ziemlich stolz gemacht. Ich hatte ganz vergessen, dass dieses Musikalische von Anfang an mein Konzept war. Und, sieh an, es funktioniert!
Trotzdem gibt es etwas, was seitdem an mir nagt und nie aufgehört hat, mich zu beschäftigen. Der Film lief damals relativ erfolgreich sogar im Kino, hat geholfen, eine Menge Spenden einzusammeln und sogar Preise gewonnen. Das bestärkte mich in dem Gedanken, den ich von Anfang an im Auge hatte: Nach ein paar Jahren mit demselben Team noch einmal nach Belarus zu fahren, um zu sehen, das festzuhalten, was inzwischen geschehen ist, wie es vor allem den Kindern geht, die inzwischen älter und vielleicht ganz woanders sind. 

Wir hatten ja beim Dreh mit allen ein ganz tolles und vertrautes Verhältnis gefunden, kurz, aber intensiv. Ich weiß, alle vom Team hätten begeistert mitgemacht. Aber ich selbst fühlte mich von dem Herumreisen mit dem Film, den immer schwieriger werdenden Umstände, die verschiedenen Hilfsprojekte tatsächlich zu realisieren, dann die Machtübernahme Lukaschenkos, mit der „unsere“ Babynahrungsfabrik über Nacht verstaatlicht und kurzerhand zweckentfremdet wurde, so ausgelaugt, dass ich mich unbedingt in andere Filmprojekte und Produktionen im Studio Babelsberg stürzen musste.
So blieb dieser Wunsch bis heute auf der Strecke. Auch wenn meine Familie und Freunde nicht aufhören, mich anzuspornen, um wie Louis Malle Anfang der Achtziger mit „God’s Country“ noch einmal aufzubrechen und dieselben Menschen dreißig Jahre später aufzuspüren, die uns damals als Kinder für einen Moment in ihre bedrohte Welt gelassen haben.


Wie glaubst du, könnten Kinos nach der Pandemie und Lockdown zurückkehren? Welchen Funktion werden sie haben?


Thomas Bauermeister: Viel interessanter ist aus meiner Sicht, woher es kommt, dass die Zukunft des Kinos, seitdem es existiert, kontinuierlich in Frage gestellt wird. Gleichzeitig geht Anne Sophie Mutter mit Filmmusik von John Williams auf Tournee. Das sagt eigentlich alles.
Seit über hundert Jahren Kinogeschichte gibt es eigentlich nur zwei Dinge, die sich keinen Deut verändert haben. Ein Drehbuch sieht heute im Format noch exakt genauso aus wie vor hundertzwanzig Jahren. Und die Frage, ob das Kino „überleben“ wird? Es gibt nichts Beständigeres als diese Frage. Dazu gehört auch, dass sie so gut wie nie von denen gestellt wird, die selber Filme machen. Welche Bedrohungen soll das Kino denn überleben? Wie sollten andere Medien das Einzigartige denn ersetzen können, was Kino ausmacht? Größe, gemeinsames Lachen, Berührt-Werden, im Dunklen mit vielen Menschen, die man nicht kennt und nie wieder sehen wird mit offenen Augen zu träumen, zu rätseln und sich das vorzustellen, was nicht zu sehen ist. Kino ist nicht nur die ganze Welt und ihre Erzählung in einer Kristallkugel. Wie jedes Ritual lässt es uns vor allem unmittelbar spüren, dass wir alle Menschen sind, dass ich weiß, dass es mich gibt mit allen meinen Ängsten, heimlichen Wünschen, auch wenn sie verboten sind, meinem Wunsch nach Trost und zu begreifen. Denn ich sehe und höre und spüre, dass ich in diesem Saal gerade dasselbe erlebe wie mein Nachbar und all die anderen. Dass uns unsere Gefühle und Gedanken sehr ähnlich und doch eigen sind. Dass es etwas anderes als dieses Erlebnis gerade, das die Zeit stillstehen lässt, für uns alle in diesem „ewigen Augenblick“ nicht gibt.
Natürlich wird das Kino zurückkehren und zwar mit voller Wucht, selbst und gerade dann, wenn wir lernen werden müssen, mit der Pandemie zu leben.

Oder ist Streaming genau so wertvoll?

Thomas Bauermeister: Streaming ist nach meiner Überzeugung absolut wertvoll, aber auf eigene Art. Es ist einen großartige Möglichkeit, gute Filme zu kommunizieren. Ob ein Film gut ist, hängt – entgegen der Auffassung ewiger Kulturapokalyptiker - nicht von seinem Medium ab, sondern davon, wie ein Film die jeweiligen Möglichkeiten und Bedingungen seiner Kommunikation nutzt und reflektiert und erweitert. 

Fest steht jedenfalls, dass ein guter Kinofilm (was immer dazugehören mag) in anderen audiovisuellen Massenmedien ausgezeichnet „funktioniert“. Das Umgekehrte ist so gut wie nie er Fall.
Wozu also sollte man Streaming überhaupt mit dem Kino vergleichen? Woher kommt auch hier diese merkwürdig permanente Fragestellung? Wer schert sich überhaupt darum? Ich habe die hervorragendsten Serien gesehen, ob im Streaming, im Fernsehen oder auf DVD. „Mad Men“, „Endeavour“, „The Americans“, „Bad Banks“, „Cromwell“, um nur einige zu nennen. Wir wissen doch seit Erfindung des Fernsehens, wozu Filme und Serien – und welche von ihnen -, auf einem Bildschirm und in einer selbst bestimmten zeitlichen und räumlichen Umgebung taugen. Eine große Anzahl von ihnen tut das seit Jahrzehnten und Aberjahrzehnten, und das weiß Gott nicht schlecht. Wie bei jeder künstlerischen Kommunikation gibt es tausende Spielarten von Musik, Jazz und Kammermusik, HipHop und Rembetiko, Barockoper und Schlager... es ist endlos. Gibt es in der Musik auch nur einen Menschen, der die Fragestellung sinnvoll fände, ob z. B. symphonische Musik „wertvoller“ sei als 
Kammermusik?

Vielen Dank für das Gespräch.

Mittwoch, 23. Juni 2021

WOLF BACHOFNER, FLORIAN KOGAN & KATHERINE BRAND "Kommissar Rex", "St.Angela" und "Marienhof"

INTERVIEWREIHE "ICH-IN SERIE" (4)

Wolf Bachofner im Gespräch im Café "Lorettas" in Hannover.

Wenn eine Langzeit-TV-Serie für den Zuschauer eine zweite Realität werden kann, wie ergeht es dann den Darstellern, die jeden Tag die Rollen spielen?

Wolf Bachofner in der Serie "Schnell ermittelt",
die bis heute läuft.



In dieser Folge vorerst letzten Folge begleiten wir Florian Kogan durch das Potsdamer Filmmuseum. Er war 4 Jahr bei der ARD-Krankenhaus-Serie "St.Angela" als Murat Özgür dabei. 55 Folgen drehte er von 2001-2005. 

Im Filmmuseum Potsdam begleitet er Katherine Brand, die 4 Jahre (2004-2008) bei der Vorabendserie "Marienhof" ganze 49 Folgen mitspielte. 

Dazu kommt noch Wolf Bachofner, der 5 Jahre die Serie "Kommissar Rex" und die ORF-Serie "Schnell ermittelt" gedreht hat. Letzteres Format hat er sogar bis heute (10 Jahre lang) begleitet.






Katherine Brand in der Serie "Marienhof" (Foto: Katherine Brand)






Samstag, 10. April 2021

THOMAS BAUERMEISTER "Tausend Kraniche musst du falten"

KINODISKUSSION MIT THOMAS BAUERMEISTER

im Kino “Nassau-Lichtspiele” in Haiger (April 1993)




Moderatorin: Ich freue mich ganz herzlich, Sie hier als Publikum begrüßen zu dürfen. Und bin froh, dass trotz des schönen Wetters einige interessierte Filmfreunde den Weg in unser Kino gefunden haben. Es war bestimmt nicht leicht, den Grill-Abend abzusagen, um solch einen Film mit solch einem schweren Thema sich anzusehen. Denn ich habe gemerkt, dass zwar dieses Thema uns alle angeht, doch nicht viele sich damit beschäftigen wollen.


Thomas Bauermeister: Ja, das habe ich auch schon gemerkt. Wer will heute, bei den vielen Schreckensmeldungen, die jeden Tag in den Nachrichten vorkommen, noch einen Film über Kinder von Tschernobyl sehen? Überall auf der Erde sind Menschen in Not. Die Menschen von Tschernobyl sind nur ein Teil davon.


Zuschauer: Gab es eigentlich große Schwierigkeiten, dort in der Ukraine zu drehen? Es war ja bekannt, dass die Behörden die Vorgänge in Tschernobyl vertuschen wollten. Wurden sie beim Drehen behindert oder gestört?


Bauermeister: Nein, überhaupt nicht. Und das hat mich auch überrascht. Die Behörden haben uns alles machen lassen, egal wo wir gedreht haben. Selbst Archivmaterial vom Unglück, von den Löscharbeiten und so weiter wurde uns zur Verfügung gestellt.


Zuschauer: Hatten sie nicht bedenken um ihre Gesundheit? Die Strahlung ist dort doch immer noch sehr hoch?


Thomas Bauermeister: Das ist wahr. Aber wenn man sich nur für einen bestimmten Zeitraum dort aufhält, kann eigentlich nichts schlimmes passieren. Wir mussten nur darauf achten, was wir zu uns nahmen. Wir wurden nämlich sehr oft auch zum Essen eingeladen und diese Menschen ernähren sich zum größten Teil von verstrahlter Nahrung, da sie sonst nichts anderes haben. Durch diese Bedenken, gerade wegen der Gesundheit, ist mir übrigens kurz vor Beginn der Dreharbeiten der Kameramann abgesprungen. Er hatte mir mit einigen nicht gerade nachvollziehbaren Erklärungen abgesagt, da gesundheitlich wirklich kaum etwas in der kurzen Aufenthaltszeit geschehen konnte. Doch er hatte einfach Angst, was irgendwo auch verständlich ist.


Zuschauer: Ich verstehe nicht, warum das Bau-Projekt einer neuen Siedlung, weit außerhalb des verstrahlten Gebietes nicht richtig von den Menschen dort angenommen wurde?


Thomas Bauermeister: Nun, zum einem besteht die Vorstellung von einem schönen Zuhause bei den Russen vornehmlich aus einer günstigen Mietwohnung in einem Hochhaus, ohne Landbesitz! Aber mit fließendem Wasser und einer Toilette im Flur. Zum anderen verlassen sie nicht sehr gern ihre Heimat und besonders die alten Leute haben nicht mehr die Kraft für solch eine Veränderung. Und die Kinder selbst verstehen noch gar nicht, warum sie weg gehen müssen. In der verstrahlten Zone, in den Städten, wird übrigens auch wieder gebaut. Arme Familien aus anderen Gebieten der Sowjetunion rücken nach, wenn irgendwo etwas frei wird. Vielleicht, weil es dort noch billiger zu leben ist riskieren sie ihre Gesundheit.


Zuschauer: Sie unterstützen mit diesem Film einige Projekte. Können sie darüber etwas erzählen?


Thomas Bauermeister: Ja, sie sind nach dieser Veranstaltung herzlich dazu eingeladen, eine Spende abzugeben. Damit soll eine Fabrik gebaut werden, die strahlenfreie Nahrung produzieren kann. Aber es bedarf noch an viel mehr Hilfe, die unter anderem von der “oppositionellen Bürgerbewegung” durchgeführt wird. Zum Beispiel die Projekte für Umsiedlungen, Kindererholung in Deutschland und vieles mehr. Deutschland ist sowieso eines der wenigen Ländern, die überhaupt helfen.

Nachtrag: Die Fabrik für Babynahrung wurde ein Jahr später vom Berliner Verein „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung e. V.“ aus den inzwischen gesammelten Spendenmitteln erworben und konnte endlich nach einigen Hindernissen im radioaktiv unbelasteten Norden von Belarus die Produktion für Babynahrung aus biologischen Anbau aufnehmen. Beliefert wurden die Säuglingsstationen der Krankenhäuser in der am höchsten belasteten Region um Gomel, der Bezirkshauptstdt im Süden. 
(Thomas Bauermeister, April 2021)


Zuschauer: Sie haben vorhin erzählt, dass die Kinder meist gar nicht wissen, was geschehen ist. Wie sieht es da mit den Erwachsenen aus? Wie viel wissen sie inzwischen? Wie viel hat ihnen die Regierung erzählt?


Thomas Bauermeister: Ja, die Bevölkerung weiß zwar nun Bescheid, was geschehen ist, doch mit den Konsequenzen werden sie absolut allein gelassen. Sie haben sich auf dieses neue “verseuchte” Leben eingestellt. Es ist ihnen egal, ob die Nahrung verstrahlt ist. Sie haben sich damit abgefunden.  Die eine Frau im Film verglich diese Situation mit dem gesamten politischen System in der UdSSR, in dem die Bevölkerung einfach abgestumpft worden ist. Jede Veränderung wird einfach hingenommen. Sie fühlen sich auch vergessen und betrogen vom Rest der Welt. Aber am deutlichsten wird dieser Zustand an einer Geschichte, die mir dort erzählt wurde. Ich weiß nicht ob sie stimmt, aber ich erzähle sie einfach mal. Es passierte ein paar Tage oder Wochen nach dem Tschernobyl-Unglück: Ein Regierungsbeamter hatte die Order bekommen, die Bevölkerung in einem bestimmten Gebiet zu informieren. Doch es war ja die Zeit, wo Fakten vertuscht werden mussten. Es durfte nicht das wahre Ausmaß bekannt werden. So berichtete der Regierungsbeamte, dass alles in Ordnung sei. Doch wie auch der alte Mann im Film berichtete, wurde woanders das verseuchte Vieh beschlagnahmt. Der Regierungsbeamte erzählte also seine Lügen und ist dann zum Hubschrauber geflüchtet. Noch am Fluggerät hatte er sofort seine Kleidung gewechselt und alles weggeworfen. Seine Schuhe sollen heute noch dort stehen...


Zuschauer: Warum heißt der Film “Tausend Kraniche musst du falten- Ein Film für die Kinder von Tschernobyl”?


Thomas Bauermeister: Dieser Titel geht zurück auf ein Märchen. Es geht darum, zu zeigen, wie lange diese Strahlung und damit dieses Elend dauern wird, wie lange diese Kinder ihre Schmerzen ertragen müssen. Eben so lange, bis tausend Papier-Kraniche gefaltet sind. Dies ist eine Parabel für eine sehr lange Zeit. Denn die Kinder leiden am meisten an den Folgen der Katastrophe. Sie wissen meist gar nicht, warum sie diese Kopfschmerzen haben. Sie dürfen nicht mehr hinausgehen und in den Feldern spielen. Man möchte ihnen am liebsten sagen: „Hört auf zu wachsen!“ Denn dadurch, dass sich ihre Zellen noch häufiger Teilen, sind sie anfälliger für die Krankheiten wie Tschernobyl-AIDS, Leukämie und Schilddrüsenkrebs.


Der Film TAUSEND KRANICHE MUßT DU FALTEN  wurde 1992 mit dem Hessischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet.


Donnerstag, 8. April 2021

RAINER MATSUTANI "Spides", LEXX-The Dark Zone und "Nur über meine Leiche"

PERSÖNLICHES INTERVIEW 
im März 2021


Rainer Matsutani mit Bernd Eichinger    Foto: RedSunFilms 

Hallo Rainer.
Ich würde dir gerne nun ein paar Fragen stellen, die aber auch einen sehr persönlichen Bezug haben.

Denn damals, als wir uns kennenlernten, war für mich eine ganz neue Situation. Ich wollte Film lernen. 1995 lief dein Film "Nur über meine Leiche" beim Fantasy Filmfest in Berlin und 2 Wochen später auch in meiner damaligen  Heimat im Gloria Kino in Dillenburg (Hessen). In Berlin war auch die Hauptdarstellerin des Films Katja Riemann dabei und gab später im Foyer Autogramme (siehe Fotos).
Ich war jedoch mit einer bestimmten Mission zu der Vorstellung gekommen.  Nach einer unglücklichen Lehre zum Maler&Lackierer und einem anstrengenden Jahr Bundeswehr wollte ich einen Traum verwirklichen. Kinos zu besuchen, in denen Filmemacher ihre Werke vorstellten waren für mich der beste Kontakt für meine ersten Drehbuchideen.

So gab ich damals Katja Riemann ein Drehbuch-Treatment mit, weil ich dachte, so funktioniert die Branche. Bei dir heftete ich mich auch ran und wir waren auf dem Ku´damm noch etwas Essen. Du warst mit deinem Team unterwegs und ich setzte mich einfach dazu.  Ich schäme mich heute für dieses Vorgehen. Kannst du dich noch daran erinnern?


Rainer Matsutani: Ich habe gute Erinnerungen an den Abend.


Kurz vor der Premiere von "Nur über meine Leiche"
vor dem Film-Palast auf dem Kurfürstendamm
Foto: Dennis Albrecht


Doch wie kommt man nach deiner Meinung wirklich in die Branche? Geht es über Filmstudium, Kurzfilm als Referenz und dann Glück haben die richtigen Leute zu treffen?


Rainer Matsutani: Seit vielen Jahren ist der beste Weg über eine Filmhochschule: Ludwigsburg, HFF München, HFF Potsdam, DFFB. Weniger erfolgversprechend sind die anderen Unis, da die Anbindung an Branche und fehlendes Renommee fehlt 


Hätte mein Vorgehen auch Erfolg haben können?


Rainer Matsutani: Ja. Thomas Jahn hat Til Schweiger in einer Buchhandlung angesprochen und dann „Knocking on Heaven’s Door" gemacht. Tom Tykwer kam ohne Hochschule zum Film und ist seit Jahren der bekannteste Regisseur Deutschlands.



Du hast vor vielen Jahren das Fantasy Genre bereichert mit Formaten für das Kino und TV. Unter anderem hast du auch für „LEXX-The Dark Zone“ eine Episode inszenieren können. So wild das Format auch war, hat es dich weiter gebracht? Und wie können wir die Zeiten miteinander vergleichen? Jetzt in SPIDES kannst du ganz andere Effekte anbieten, ganz anderes Storytelling verwenden, oder?


Rainer Matsutani: LEXX war damals lustig zu machen, aber ob es mich weiter gebracht hat? Ich weiß nicht. GENRE bringt einen in Deutschland generell nicht weit. Man landet eben in einer hierzulande unpopulären Nische, obwohl GENRE (SciFi, Fantasy, Horror) im Rest der Welt überaus populär ist. Schau dir einfach die Liste der 100 erfolgreichsten Filme weltweit an: 90% davon sind Genre-Filme.


Und du bist jetzt Showrunner. Ist das der große Vorteil, den man sich immer erhofft?


Rainer Matsutani: Ja, es war ein kreativer Neuanfang. Es war die totale künstlerische Kontrolle. Bei meinen Genre-Produktionen in Deutschland musste ich viele, sehr viele Kompromisse eingehen. Hauptsächlich, weil die beteiligten TV-Sender (auch bei den Kino-Co-Produktionen) einfach verdauliche Ware mit Altersfreigabe 12 brauchten. NUR ÜBER MEINE LEICHE war die Ausnahme, als Erstlingsregisseur hat man (meistens) einen Schuß frei.


SPIDES läuft nicht auf Netflix hat aber trotzdem eine gute Chance auf dem Streaming-Markt? 


Rainer Matsutani: Ja, SPIDES läuft derzeit auf Amazon Prime und in den USA auf Crackle. 



SPIDES Poster. Foto Red Sun Film
Ist jetzt somit die Chance größer, endlich deutsche Sci-Fi zu produzieren und besser zu verkaufen?


Rainer Matsutani: Ich denke ja. Die Streaming-Anbieter sind offen für Genres. Es ist ein neues Zeitalter angebrochen. Doch Jahrzehnte alte Vorbehalte gegenüber deutschem Genre muss abgebaut werden, das geht nicht gleich morgen. 


Wie siehst du die Chancen für Kinos in Zeiten der Pandemie? Glaubst du, sie kommen noch einmal wieder? Wenn ja, in welcher Form und mit welchem Auftrag könnte das sein?


Rainer Matsutani: Als jemand, der seine Initiation im Kino erlebte, ist der derzeitige langsame Tod des Kinos bitter. Ich weiß nicht, ob Kino (das schon zuvor heftigst litt) das überlebt.


Übrigens hat mir Katja Riemann tatsächlich auf mein Drehbuch eine Antwort geschrieben. Eine zwar salomonische aber trotzdem sehr ehrliche Einschätzung. Das mag ich an ihr. Hier ein kurzer Ausschnitt: ""Schreiben Sie einen Film, erzählen sie eine Geschichte für die Sie brennen. Versuchen Sie etwas mitzuteilen und spekulieren Sie nicht mit einem Trend, der sich aus anderer Notwendigkeit ergeben hat (Katja Riemann Pfingsten 1996)


Rainer Matsutani: Ja, Katja ist eine ehrliche Haut :)


Vielen Dank für das Gespräch.


Katja Riemann nach der Premiere im Foyer.
Foto: Dennis Albrecht


Lest auch das Kinogespräch zu der Premiere: 

KINOGESPRÄCH "Nur über meine Leiche"


Dienstag, 9. März 2021

ALEX ROSS: "Weak Heart Drop" und "Tom Atkin Blues"

PERSÖNLICHES GESPRÄCH mit ALEX ROSS 

März 2021





UnsereFilme: Wie geht es dir? Was machst du zur Zeit? Wie kommst du mit der Pandemie zurecht, privat wie auch beruflich?

Alex Ross: Danke der Nachfrage, mir geht es sehr gut. Ich habe jetzt ein Jahr lang von zu Hause aus gearbeitet – das kam nach drei Jahren, in denen ich beruflich viel unterwegs war. In vielerlei Hinsicht habe ich den längeren Aufenthalt zu Hause genossen. Es hat mir die Möglichkeit gegeben, über einige Dinge nachzudenken und eine neue Perspektive zu gewinnen.




UnsereFilme: Du wurdest in einem "Zitty Berlin"-Beitrag zur Berliner No-und LowBudget Szene mit dem Titel "Sie waren jung und brauchten kein Geld" vom November 2012 mit zwei Werken erwähnt. Welchen Bezug hast du heute zu dieser Zeit und zu den Filmen „Tom Atkins Blues“ und „Weak Heart Drop“?

Alex Ross: Das ist nun schon einige Zeit her. Damals hatte man das Gefühl, dass es möglich war, hier in Berlin Low-Budget-Filme zu machen und ein Kinopublikum zu finden. "Tom Atkins Blues" war eine bemerkenswerte Erfahrung, denn wir hätten nie erwartet, dass der Film so weit gehen würde, wie er es tat, was die Presseberichterstattung und Vorführungen angeht. Ich fühle immer noch eine gewisse Enttäuschung bei "Weak Heart Drop", da er in Bezug auf Kreativität und Handwerk definitiv mein vollständigster Film ist. Und meiner Meinung nach bietet er einige wirklich starke Darbietungen - Megan, Tessa & Meral kommen mir jedes Mal in den Sinn, wenn ich an den Film denke - es ist schade, dass sie nicht mehr Anerkennung für die Arbeit bekommen haben, die sie geleistet haben. Diejenigen, die zu den Vorführungen kamen, mochten den Film wirklich, aber wir konnten einfach keinen Weg finden, ein Publikum auf die gleiche Weise zu erreichen, wie wir es mit "Tom Atkins Blues" getan haben. Im Oktober 2019 hatten wir eine Vorführung von "Tom Atkins Blues" im Acud Kino, die eine der besten war, die wir je hatten, und doppelt lohnend, da es fast 10 Jahre her war, dass der Film zum ersten Mal gezeigt wurde. Das ist das Beste, was einem Filmemacher passieren kann!


UnsereFilme: In welchem Kino lief „Tom Atkins Blues“ ganze 54 Wochen?

Alex Ross: Das war das Sputnik Kino in Kreuzberg. Die Besitzerin Andrea hat uns unglaublich unterstützt, und in vielerlei Hinsicht hatte ich das Gefühl, dass das Thema von "Tom Atkins Blues"- der Kampf von etwas Kleinem und Individuellem gegen einen Konzern - genauso relevant für ein kleines unabhängiges Kino war. Wir zeigten den Film über ein Jahr lang jeden Sonntagabend in der Kino Bar. Das bedeutete, dass der Film statt einer kurzen täglichen Laufzeit ein Jahr lang auf der Liste stand und die Mundpropaganda weiterhin für ein Publikum sorgte.


UnsereFilme: Du hast versucht, die Filme jetzt online anzubieten. Wie ist dein Resümee?

Alex Ross: Ich habe es geschafft, beide Filme auf Amazon Prime zu bekommen, aber die niedrigen Zuschauerzahlen bedeuten, dass "Tom Atkins Blues" immer noch nur in Großbritannien und den USA verfügbar ist. Auch die Einnahmen, die man erhält, sind offen gesagt ein Witz. Ansonsten sind sie immer noch auf Kinoflimmern. Aber um ehrlich zu sein, schaut sich kaum jemand die Filme auf beiden Plattformen an. Die größte Herausforderung für einen wirklich unabhängigen Film ist es, eine tragfähige Plattform zu finden, um ein Publikum zu erreichen. Wir werden mittlerweile von Online-Inhalten überschwemmt und ich habe das Gefühl, dass diese Herausforderung fast unmöglich geworden ist.


UnsereFilme: Glaubst du, dass Kino kommt nach der Pandemie wieder? In welcher Form und mit welchem Auftrag?

Alex Ross: Das ist eine schwierige Frage. Die gesamte publikumsbasierte Kultur wurde von Covid unter Beschuss genommen und die Möglichkeit voller Spielstätten scheint noch in weiter Ferne zu liegen. Man fragt sich schon, wie die Kultur aussehen wird, wenn wir zur Normalität zurückkehren. Ich persönlich kann nur hoffen, dass die Ära der aufgeblähten Actionfilme zu Ende geht, ebenso wie die Welle der Remakes von Filmen, die nicht mehr zu übertreffen sind. Wenn Hollywood sich nicht erholt, könnten einige Multiplexe schließen und sie könnten gezwungen sein, ihre Budgets und ihre Gewinnstrategie zu überdenken, was bereits geschieht. Paralleles Streaming und Kinoverleih ist wahrscheinlich der nächste logische Schritt. Was die unabhängigen Kinos angeht, weiß ich es nicht. Die Leute könnten sich einfach entscheiden, zu Hause zu bleiben und bei einem Glas Wein zu streamen, was immer sie wollen - und wer kann es ihnen verdenken. Ich fürchte eher, dass das Indie-Kino - und damit meine ich die Möglichkeit, Filme zu eigenen Bedingungen zu machen und zu vertreiben - am Ende ist. Ich hoffe, ich liege falsch.

UnsereFilme: Letzte Frage: Kannst du dir vorstellen, in den nächsten Jahren noch ein Spielfilmprojekt anzugehen?

Alex Ross: Es ist etwas in der Pipeline, aber unsere Pläne sind durch Lockdown zurückgestellt worden. Es ist etwas Kleines und Lokales - und relevant. Das letzte TAB-Screening hat wirklich einen Funken unter uns erzeugt, die etwas machen wollen. Unsere größte Hürde (wie wir hier besprochen haben) ist jedoch, wo können wir den Film zeigen? Aber keine Antwort auf diese Frage zu haben, ist immer noch kein Grund, keinen Film zu machen.

UnsereFilme: Danke für das Gespräch.


Am 1. Dezember 2018 hatte ich Alex Ross zum ersten Mal persönlich kennenlernen dürfen. Zusammen mit 3 weiteren Filmemachern gab es interessante Gespräche im IL Kino in Berlin.



Dennis Albrecht, Ismail Sahin, Hagen Myller, Alex Ross, Alexander Pfander


Aktuelles Foto von Alex Ross



Hier sind seine Filme zu finden:

JACOBS LEITER 

https://www.youtube.com/watch?v=mST9FQAEcQ4

GEHEN SIE WEITER NACH OBEN
https://www.youtube.com/watch?v=lD9Cex2-AN4&t=241s

Schwacher Herzabfall
https://www.kinoflimmern.com/video/Weak-Heart-Drop/9d0509c43ee2ec18a64e329dbcbbf9b8

https://www.amazon.de/Weak-Heart-Drop-Megan-Gay/dp/B07GHS3MP2

TOM ATKINS BLUES
https://www.kinoflimmern.com/video/Tom-Atkins-Blues/3af7327357733019bb3410785b4a5300

https://www.amazon.de/Tom-Atkins-Blues-Alex-Ross/dp/B07GJZ4KHY






Donnerstag, 4. Februar 2021

MARIA FUCHS, MIKE REICHENBACH & THOMAS HELD "Rote Rosen", "Die Wache" & "Sechserpack"

PERSÖNLICHE GESPRÄCHE Maria Fuchs, Thomas M. Held, Mike Reichenbach

"ICH-in Serie" 2011

Maria Fuchs beim Gespräch 2011 im Streits Filmtheater Hamburg


Wenn eine Langzeit-TV-Serie für den Zuschauer eine zweite Realität werden kann, wie ergeht es dann den Darstellern, die jeden Tag die Rollen spielen? 

Dazu habe ich 10 Schauspieler in dem Projekt "ICH-in Serie" zum Interview gebeten.


In dieser Folge spricht Maria Fuchs über ihre inzwischen 13 Jahre bei der ARD-Soap "Rote Rosen" und über ihren berühmten Vater den Schauspieler Matthias Fuchs.

Außerdem kommt Mike Reichenbach zu Wort, der über 5 Jahre in der RTL-Serie "Die Wache" einen kontroversen Charakter spielte.



Auch Thomas M. Held aus der Comedy-Serie "Sechserpack" ist wieder unterwegs, der selbst mal 1 Jahr in einer ZDF Soap "Lena-Liebe meines Lebens" mitspielte.


Hier ist der Interviewfilm:



Mittwoch, 27. Januar 2021

AREND AGTHE: "Karakum"

FILMDISKUSSION MIT AREND AGTHE in der Buchhandlung "Rübezahl" in Dillenburg (28. Januar 1997)

Plakat zu KARAKUM 

Die kleine Buchhandlung RÜBEZAHL in Dillenburg ist ein guter Tipp in der Region. 1997 habe ich dort den Regisseur und Autor Arend Agthe kennenlernen dürfen. Er hat viele Filme für Kinder und Jugendliche gedreht. RETTET RAFFI war 2015 sein bisher letztes Werk. Aber FLUßFAHRT MIT HUHN ist dagegen sein bekanntester Film.  KARAKUM lief damals im GLORIA KINO gleich gegenüber in dieser schönen kleinen Stadt in Mittelhessen, wo ich auch meine Kindheit und Jugend verbracht hatte.


Eigentlich wollte AREND AGTHE Lehrer werden, erzählte er an diesem Abend. Er hatte Germanistik studiert und Film war eher eine Liebhaberei. Er hatte eine 16mm Kamera mit einer Kurbel zum aufziehen. Mit diesem Motor konnte er Szenen von 20 Sekunden drehen. Ab der 12. Klasse hatte er im Dorf die Stelle eines Filmvorführers bekommen und im Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik in Marburg und Frankfurt drehte er mit Freunden Kurzfilme. Diese Werke, wie zum Beispiel ein Stummfilm namens "Der Klauer" (1969) schickte die Gruppe zu den Kurzfilmtagen in Oberhausen. "Der Klauer" gewann dann auch gleich den Kritikerpreis und wurde vom Fernsehen gezeigt. Mit dem Geld für die Ausstrahlung haben Arend und seine Freunde dann gleich den nächsten Film produziert.   
Zu dieser Zeit kam auch die SESAMSTRASSE nach Deutschland. Die ersten Folgen wurden in der originalen englischen Sprache übernommen und über die Stimmen von Ernie und Bert wurden einfach mit Deutsch darüber gesprochen, bis es eigene deutsche Beiträge gab. Dafür wurden Leute gesucht und Arend erzählte, dass es ziemlich leicht gewesen wäre, dort hinein zu kommen. Er schrieb kleine Geschichte, verfilmte Kinderlieder und wurde dann selbst zum Produzenten. Es war ein großes Experimentierfeld möglich, bis er dann zu den Jugend-Umwelt-Sendung LÖWENZAHN kam.                                                                         
Dort hat er dann mit Peter Lustig zusammen geschrieben und gearbeitet.

1983 drehte Agthe seinen ersten Kinospielfilm. In der Buchhandlung berichtete er von einer Revolution in der Kultur des Kinderfilms. Zu dieser Zeit sollte es nicht mehr "nur" Märchen geben, sondern eine Veränderung im Denken der Produzenten machte plötzlich mehr möglich. So drehte er mit 1,6 Millionen Mark den Film FLUßFAHRT MIT HUHN, dessen Dreharbeiten zweieinhalb Monate dauerten. Es wurde eine Achtungserfolg im Kino und er wurde damals sogar in die Sowjetunion verkauft und dort ausgezeichnet. Er wurde zu einer Vorstellung in einen Pionierpalast  eingeladen, welcher beeindruckende 2600 Sitze hatte. Dort gab es aber nicht nur Lob, sondern auch Pfiffe. Einige Kinder hatten den Film abgelehnt und anders reagiert, als Agthe dachte. Trotzdem wurde er später in drei weitere Sowjetstaaten eingeladen, seinen Film dort persönlich vorzustellen.

So kam er nach Turkmenistan. Es ist ein Land, das zu 90 % aus Salzwüste besteht und dabei zweimal so groß ist, wie Frankreich. Die Hauptstadt Aschchabad hatte damals eine halbe Millionen Einwohner, wobei sich viele Stämme mischten. Die frühere Seidenstraße führt dort entlang. 
Agthe erzählte von einer dortigen Filmindustrie. Es gab ein Filmstudio, in dem bis zu 12 Spielfilme im Jahr auf 35mm und manchmal sogar auf Cinemascope produziert wurden. Fast jedes Dorf hatte ein eigenes kleines Kino.
1988 hatte er dort Uzmaan Saparov, einen heimischen Filmemacher kennengelernt. Sie verstanden sich so gut, dass sie beschlossen, zusammenzuarbeiten. Sie wollten einen gemeinsamen Film machen. Jeder sollte eine Drehbuchfassung schreiben. Das musste in dem jeweiligen Heimatland geschehen, da Agthe zurück nach Deutschland musste.

Das Hauptthema sollte sein, dass ein deutscher und ein turkmenischer Junge sich in der Wüste verirren. Wie der deutsche Junge dort hinkommen sollte, war zunächst unwichtig.
Agthe schrieb also seine Fassung. Doch die Verbindung nach Turkmenistan war schwierig, obwohl Gorbatschow damals an die Macht kam und sich die Sowjetunion ein Stück weit öffnete.
9 Monate hörte Arend Agthe jedoch nichts von Uzmaan und telefonieren war auch nicht möglich. Alles was hinter Moskau lag, wurde als Post wohl erst gesammelt und dann nicht weiter geschickt.
Doch eines Tages kam ein Brief aus Krakau, in dem Uzmaan seine Drehbuchfassung geschickt hatte. Beide Exposes waren auf ihren Wegen verloren gegangen.
Der Hessische Rundfunk war an dem Stoff interessiert und machte ein neues Treffen in Frankfurt am Main möglich. Sie stellten sich gegenseitig ihre Ideen vor und bemerkten, dass sie sehr weit auseinander lagen.
Nachdem ein Hamburger Filmproduzent in das Projekt einstieg, schrieben beide das Drehbuch innerhalb von 14 Tagen. Dabei fühlte sich Uzmaan in seinem kulturellen Verständnis immer wieder missverstanden. Der deutsche Junge sollte in der Geschichte verloren sein und der Turkmene sollte kreativ mit den Herausforderungen umgehen können. Als eine Schlange auftaucht, sollte der Turkmene sie töten, während der deutsche Junge nur vor Schreck erstarrt. Die Schlange sollte dann auch noch gegessen werden, so waren die Ideen von Agthe. Uzmaan machte deutlich, dass Turkmenen keine Schlangen essen würden. Selbst in einer Notlage wäre dies keine plausible Szenerie.

Ein weiterer Streitpunkt war dann die Plane vom LKW. Arend Agthe erzählte, dass in seiner Geschichte aus der Plane ein Segel für einen Strandsurfer gebaut werden sollten. Doch in Turkmenistan gab es einfach keine Lastwagen mit Planen. Es gab nur geschlossene Ladeflächen. So mussten sie einen LKW mit einer Plane aus Kiew ausstatten.

Ein weiterer Hauptdarsteller war eine Ziege, die im Notfall geschlachtet werden sollte. Der turkmenische Junge verteidigte die Ziege im Drehbuch mit seinem Leben. Diese Szene regte später bei einer deutschen Kinovorführung ein 9jähriges Mädchen sehr auf, eben wegen der drohende Schlachtung des Tieres. Für Europa war die Geschichte zu hart. 

Ein Teilnehmer der Diskussion in der Buchhandlung fand diese Richtung jedoch gut. Es sollte nichts beschönigt werden, es ist eben das Leben auf dem Lande, das er auch selber erlebt hat. Ein Bauer peitscht manchmal die Kuh, doch oben auf dem Berg reibt er sie liebevoll mit dem Stroh trocken.

Dieser Vergleich gefiel Arend Agthe und er erzählte, dass er genau dies auch aussagen wollte. Der verwöhnte deutsche Junge sollte gestärkt aus der fremden Kultur und der Krise hervorgehen. 
Auf die Frage, was Arend Agthe mit dem Film KARAKUM erreichen wollte, antwortete er, dass er zwei Kinder in eine aussergewöhnliche Situation bringen wollte, die damit eine Gradwanderung durchleben. Es sollte von einer Freundschaft erzählen, die non-verbal entsteht und es auch zu einem Happy End bringt.

Ein Teilnehmer wollte wissen, welche Sprache der turkmenische Junge bevorzugte. Agthe antwortete, dass er russisch sprach, da nur noch wenige Jugendliche die originale turkmenische Sprache beherrschten. Selbst die turkmenischen Filme haben haben russische Untertitel, damit die Jugend die wichtigsten Szenen verstehen.

Am Ende wurde ein gewisses Urverhalten besprochen. Die Jungs haben einen klassischen Konflikt, zwei Kulturen prallten da aufeinander. Und Agthe zitierte den deutschen Jungen aus seinem Film: 
"Ich verlange, dass man mich sofort hier herausholt!"
Mitten in der Wüste sagte er dies und erwartete sofortige Hilfe von außen.
Dies machte für Aghte den kulturelle Unterschied aus und lässt die zwei Arten von Leben am stärksten zeigen.

Dann kündigte Arend Agthe noch an, dass er als nächstes ein norddeutsches Märchen verfilmen wollte.

Es war für mich in jenem Jahr ein wunderschöner Dienstag Abend in der Buchhandlung. Dies waren die ersten Berührungspunkte mit dem Thema "Filme machen". Ein Profi erzählte und ich lernte allein von dem Gespräch unglaublich viel. 
2 Jahre später zog ich jedoch weg aus Hessen. Im "Rübezahl" war ich seitdem nicht mehr, doch den Laden gibt es bis heute. Vielleicht gibt es sogar noch Lesungen, aber Filmemacher kommen bestimmt nicht oft vorbei. Das war schon 1997 eine super interessante Rarität.

Arend Agthe (Foto von Kino.de)


Dienstag, 19. Januar 2021

LARS JESSEN: "Jennifer-Sehnsucht nach was Besseres"

PERSÖNLICHES GESPRÄCH mit 
LARS JESSEN 2017




LARS JESSEN auf imdb
Der deutsche Regisseur in seinem Hamburger Büro (Foto: Dennis Albrecht)

Der norddeutsche Regisseur ist bekannt für Kinofilme wie "Fraktus" oder "Der Tag, an dem Bobby Ewing starb". Er hat viele Fernsehfilme gedreht, sowie Serien wie das "Großstadtrevier". Die kleine Comedy-Serie "Jennifer-Sehnsucht nach was Besseres" mit Olli Dietrich und Klaas Heufer-Umlauf ist aber sein eigenes Baby. Sieht er sich als aber jetzt als deutscher Showrunner? Wie baut er die Figuren auf? In dem Gespräch geht es aber auch um Verwertung und Chancen der Online-Angebote.

Am 11. Oktober 2017 wurde im Rahmen der Initiative "UnsereFilme" das Interview mit Lars Jessen in seinem Büro geführt. Daraus wurde eine 10 Minuten lange Zusammenfassung erstellt. 

Hier ist das Video-Interview: 





MATTHIAS HUES "Karate Tiger 2", "Dark Angel" und "Legion Of The Dead"

PERSÖNLICHES INTERVIEW  mit MATTHIAS HUES  Foto von Dennis Albrecht am Set von „Legion Of The Dead“ Fragen von Christian Witte:  Du hast mit...